Maria Montessori ist eine sehr wichtige Repräsentantin der Reformpädagogik, deshalb hier ein kurzer Einschub hierzu:
Die Reformpädagogik ist eine grundlegende Strömung in der Pädagogik, beginnend Anfang des 20. Jahrhunderts bis ca. 1935, die die Erziehung und Unterricht bis heute sehr beieinflusst. Sie wendet sich gegen die Pauk- und Stockschule, in welcher der Lehrer autoritär und auch diktatorisch lehrt und sieht das Kind in seiner Individualität. Das Kind lernt nicht mehr durch Indoktrination (Auswendiglernen), sondern durch Erfahrung (Fühlen, Betrachten, Hinterfragen, Selbstanfertigen usw.).
Um Maria Montessori zu verstehen, muss man sich ein wenig in ihrem Leben umsehen:
MM wird 1870 in Italien (daher wohl dein Interesse, häh :biggrin: )geboren, und erlebt die typische Schulbildung des 19. Jahrhunderts. Strenge, Stock, überfüllte Klassen. Keine angenehme Lernumgebung. Sie besucht eine weiterführende mathematisch-naturwissenschaftliche Schule. Anschließend hieran setzt sie ihren Willen gegen den Vater durch und kämpft um Aufnahme an der Universität, was nicht einfach ist als Frau. Sie studiert Medizin und beendet das Studium als erste ÄrztIN in Italien (1896). Sie arbeitet nun als Assistenzärztin in einer psychatrischen Anstalt in Rom und lernt so sehr viel über das Lernverhalten -und die Nichtförderung - behinderter Kinder. Damals kümmerte sich keiner um diese Kinder. Sie erzielt großartige Erfolge, indem sie den Kindern sensorische Lernmaterialien anbietet (also Dinge zum Ertasten, Erfühlen, Be-greifen, etc.).
1901 geht sie zurück an die Universität um Pädagogik und Psychologie zu studieren. Ihre Ideen zur Förderung von benachteiligten Kindern kann sie dann 1906 beginnen umzusetzen. Sie wird als Ärztin von der italienischen Regierung in das Armutsviertel San Lorenzo geschickt, wo sie ein Kinderheim aufbaut und das Lernverhalten der Kinder studiert und ihre Materialen überdenkt und weiterentwickelt. Später folgen weitere Kinderheime. Maria Montessori arbeitet auch in der Lehrerbildung.
MM entwickelt eine Vielzahl von Materialien, welche auch heute noch genauso übernommen werden. Ihre Ideen finden weltweit großen Anklang, viele Schulen und Institutionen greifen sie auf. In Deutschland werden alle Montessori-Schulen 1933 aufgrund der NS-Zeit geschlossen. Italienische Einrichtungen folgen 1934. Der Ansatz lebt erst Jahrzehnte später wieder auf.
“Hilf mir, es selbst zu tun!” ist wohl das häufigste Zitat das in der Fachliteratur verwendet wird. Warum? Es spiegelt die Besonderheiten der Montessori-Pädagogik wieder:
Ehrfurcht vor der Persönlichkeit des Kindes: Im Kind ist alles angelegt, was es zu seiner Entwicklung braucht. Folglich ist es Aufgabe des Erziehers diese Kräfte zu orten und dann das Kind zu motivieren an diesen Kräften zu arbeiten. Der Erzieher darf das Kind aber nicht drängen oder bei der Lösung eines Problems mithelfen. Alle Montessorimaterialen sind so entwickelt, dass sich das Kind selbst kontrollieren kann.
Hilfe zur Selbstständigkeit und Persönlichkeitsentwicklung
Der Erzieher wird als Helfer oder Begleiter gesehen. Wie eben schon beschrieben sind ja alle Kräfte schon im Kind angelegt. Es muss also nicht erzogen oder belehrt werden, sondern es braucht einen Helfer, Begleiter, welcher dann eingreift, wenn es brenzlig wird.
Sensible Phasen sind in der Montessori-Bewegung sehr bedeutsam. Sie sind vergleichbar mit den Schüben im Baby- und Kleinkindalter, auf welche hier im Forum oft hingewiesen wird. Das Kind ist “plötzlich” bereit und fähig etwas neues zu erlernen. Es ist “reif” sich einer neuen Aufgabe zu stellen und z.B. zu erlernen, wie man die Schuhe bindet.
Eine sehr ansprechende und lehrsame Lernumgebung ist notwendig, damit Kinder sich wohlfühlen und zum Lernen angeregt werden.
Das Sinnesmaterial ist sehr vielfältig und spricht alle Sinne, daher Sinnesmaterial, hehe, an. Viele Farben, Oberflächen, Düfte, Größen und Formen laden zum Lernen ein. Das Kind wählt jeden Tag aufs neue womit es sich beschäftigen möchte, ob es gerne alleine oder mit einem Freund oder in einer Gruppe arbeiten möchte. Weiterhin bestimmt das Kind sein eignes Arbeitstempo. Es kann sich also mit einem Material einige Zeit, oder auch mehrere Tage beschäftigen. Jedoch kann es nicht eine Tätigkeit beginnen, feststellen “Ach, des is aba blöd” und sich dann etwas neues suchen. Materialien werden ordentlich nach dem Gebrauch aufgeräumt.
Der Alltag in einer Montessorigruppe ist überraschend still. Ordnung, Freiheit, Konzentration, Selbstbestimmung und Ruhe sind die Schlagworte mit denen man den Alltag am ehesten beschreiben kann.
Montessori-Lehrer und Erzieher haben eine zusätzliche Montessoriausbildung.
So, jetzt habe ich sicherlich soviel geschrieben, dass es keiner mehr liest
:schlafen01: , und trotzdem habe ich sooo viel auslassen müssen.
Wenn du spezielle Fragen hast und dich nicht vor meiner langen Antwort scheust, dann lass es mich doch bitte wissen ;-)
LG, Alexa
Kommentare
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2.Gedanke der mich beschäftigt: stimmt es, dass in Montessori Einichtungen mehr Kinder mit "Lerndefiziten" sind ? Irgendwie hat sich bei mir dieses Vorurteil eingeschlichen :traurig04:
Das Konzept gefällt mir aber ganz gut und wir haben eine Mont.Kita in unserer näheren Auswahl für unsere Tochter ... leider nehmen die nur Kinder die vom Jugendamt einen Betreuungsumfang von mind 7 Std haben, da ich aber nicht arbeiten gehe bekommen wir höchstens 5 Stunden.
Gibt es vielleicht bestimmte Argumente für das Jugendamt um für diese Kita mehr Betreuungsumfang zubekommen ?
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Dass es nicht immer möglich ist: klar, so ist das nun mal und meiner Meinung nach ist ein gewisser "druck" auch wichtig, denn der gehört zum Schulalltag und muss auch erlernt werden - also der Umgang damit. Aber wenn eine Kita zumindest theoretisch diesen Ansatz verfolgt, dann bleibt ja sicher auch in dr Praxis was daovon erkennbar, auch wenn man sich dann hier und da den äusseren, organisatorischen Umständen beugen muss.
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Soweit ich weiß arbeitete Maria Montessori mit genau solchen Kindern. Diese "lerndefizitären" Kinder schafften es so sogar, das Abitur zu erlangen. Ich glaube mich erinnern zu können, dass man Montessori es nicht zugestanden wurde, mit "normalen" Kindern zu arbeiten, denn sie fragte sich, was wohl "normale" Kinder erlangen könnten, wenn sogar "besondere" Kinder es bis zum Abitur schaffen. Dass Montessori-Einrichtungen heutzutage mit lerndefizitären Kindern arbeiten, ist mir eigentlich nicht bekannt :roll: . Wie gesagt, ich kenne mich allerdings auch gar nicht aus und lasse mich sehr gerne belehren.
Was mich nun aber interessiert, ist folgendes: wie kann man zuhause sein Kind Montessori-entsprechend fördern? Gibt es so etwas wie - verzeiht den Ausdruck - Montessori für Heimwerker?
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Entschuldigung, dass ich mich lange nicht hierzu gemeldet habe - mein Laptop war/ist in der Reparatur und dann wurde mir glatt der Falsche zugesandt :roll: . Habe mir eben wichtige Minuten am PC meines Mannes erkaempft.
Das ganze Montessori-Konzept ist auf Eigenverantwortlichkeit der Kinder ausgerichtet. D.h. sie werden von Anfang an an das Lernkonzept herangefuehrt. Hierzu gehoert, dass sich das Kind Lernmaterialen aussucht, mit welchen es sich heute beschaeftigen moechte. Gezielt wird es angeleitet sich Materialen zu suchen, die es alleine bewaeltigen kann. Das ganze geschieht in einer Lernumgebung wo andere Kinder ebenfalls konzentriert "arbeiten"/spielen. Die Materialien haben verschiedene Schwierigkeitsstufen, das Kind schaetzt sich selbst ein und waehlt eine Beschaeftigung die bewaeltigbar ist. Der Umgang mit den Materialien selbst macht aber schon so viel Freunde, dass der Weg der Erarbeitung wichtiger ist, als das Ergebnis.
Montessori-Materialien sind so angefertigt, dass ein haeufiges Wiederholen gefoerdert wird. Der Weg ist oft wichtiger als das Ziel.
Ich werde in Kuerze noch etwas zu den Materialien schreiben, aber da brauch ich erst mal wieder meinen Computer ;-) .
@tesun: Auf dich und deine Tochter bezogen haut das Konzept so natuerlich nicht hin, da ihr nur ein Zweigespann seit, und sie sich nicht an anderen Kindern orientieren kann. Auch sind die Dinge, die sie zu Hause versucht, keine didaktisch aufbereiteten, ausgekluegelten Materialien, die genau auf ihre kindlichen Beduerfnisse ausgestattet sind.
Ansonsten gehoert zur Montessori-Paedagogik natuerlich ganz viel Lob und positive Verstaerkung. Ebenso, wie das Hinterfragen des Erlernten. Durch das Verbalisieren koennen Kinder auf neue Loesungswege kommen und diese anschliessend ausprobieren.
Zu deinem zweiten Gedanken bezueglich der Lerndefizite: Ja, ganz klar, viele Einrichtungen im sonderpaedagogischen Bereich arbeiten mit Montessori-Materialien. Maria Montessori hat sie ja gerade fuer diese Kinder erarbeitet. Oft sind Montessori-Einrichtungen auch integrativer Art. Gerade dann sind Gruppen oder Klassen mit mehr Personal ausgestattet und grundsaetzlich kleiner. Aber: nicht jede Montessori-Einrichtung ist integrativ.
Wenn du Interesse hast, deine Tochter in eine Montessori Kita zu stecken, geh doch mal zum Tag der Offenen Tuere und erkundige dich vor Ort. Ich wuerde anschliessend ins Jugendamt gehen und bei dem entsprechenden Beamten vorsprechen. Man kann so viel erreichen, wenn man mit dem Jugendamt spricht, glaube mir. Erzaehle dort einfach, dass das Konzept das einzig Wahre ist und dass dein Herzblut daran haengt ;-) . Einen anderen Rat bezueglich des Betreuungsumfangs kann ich dir leider sonst nicht geben.
Liebe Gruesse,
alexa
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Ole ist ja entwicklungsverzögert und auch darum ist diese Kita für uns ein totaler Glücksgriff. Dort gibt man sich super Mühe wirklich auf die individuellen bedürfnisse der Kinder einzugehen und nicht nur eine grobe Konzeption zu haben, die dann an organisatorischen Grenzen scheitert, wie das hier auch angesprochen wurde. Es wird nicht Wert darauf gelegt, dass alle Kinder zum Zeitpunkt X alle die gleichen Fähigkeiten haben müssen, sondern jeder wird in seinem Rahmen angenommen und "gelassen". Das heisst nicht, dass nicht versucht wird die Kinder für alles zu interessieren, aber niemand wird gezwungen pünktlich jeden Mittwoch um 10 zu malen, weil es eben so auf dem Plan steht.
Noch ein ganz banales Beispiel: in grösseren Kità`s, die ich gesehen habe DURFTEN Kinder unter 2 Jahren nicht mit dem Löffel selbst Essen, weil das natürlich anstrengender ist udn auch einen Mehraufwand für die erzieherinnen darstellt. Bei uns ist Selbstständigkeitserziehung ein grosser Punkt. Ole ist jetzt 1 Jahr und isst schon allein. Toll, dass er das auch in der Kita machen kann.
Töpfchen ist auch so ein Thema. "Normalerweise" sitzen die Kleinen in der Kita ja doch recht schnell/ früh auf dem Töpfchen. Bei uns sitzen sie da wirklich erst, wenn sie allein das so wollen. Man gibt ihnen eben auch da die Zeit, die wir ihnen zu Hause auch geben würden und solche total banalen Sachen, geben mir das Gefühl, dass mein Kind da toll aufgehoben ist.
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Mit der Kita habe ich vereinbart erstmal beim Jugendamt vorzusprechen und den Betreuungsumfang zu beantragen und dann gehen wir zum Gespräch in die Kita.
Mal schauen was ich erreichen kann.
Als Alternative haben wir dann nur eine staatliche Einrichtung mit 200 Kindern die Erzieher kenne ich schon vom Spielplatz im letzten Sommer und ich werde mein Kind dort auf keinen Fall hinbringen, dann bleibt sie bei mir zu Hause
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Was mir dabei am meisten zu denken gegeben hat (neben vielen, vielen anderen Dingen ;-) ist ihr Ansinnen, Gegenstände in der Umgebung der Kinder zum einen für Kinder gut erreichbar und in der Größe und Bauart den Kinderkörpern angepasst zu gestalten. Stühle müssen so leicht gebaut sein, dass Kinder sie mühelos auch selber woanders hinstellen können etc. Sogenannte unzerstörbare Gegenstände werden abgelehnt. Ein Kind würde dardurch nicht geschult im sorgfältigem Umgang mit Dingen. Massive Möbel würden den Zerstörungsdrang geradezu herausforden, das Kind wird letztendlich nur frustriert, wenn es selbst unter Einsatz all seiner Kräfte keine Wirkung erzielt. Kindergeschirr muss aus Glas und Porzellan sein, eben damit sie lernen, dass man dait behutsam sein muss.
Guter Ansatz finde ich :fun52:
Was mir noch sehr gut gefallen hat, dass Kinder nicht nach Jahrgängen sortiert lernen sollen, weil dies einen Verzicht auf eine ganz entscheidenden soziale Beziehung bedeutet: die Beziehung zu denen, die gerade einen Schritt voraus sind. Sie können sich sozusagen keine Anleitung und Inspiration von Fortgeschrittenen holen. Ein Sechsjähriger etwa kann einem Dreijährigen einiges beibringen, der Dreijährige sich vom Sechsjährigen einiges abschauen. Mehrkindfamilien wissen, was gemient ist ;-) Und dieser Aspekt fehlt in unserer Form der Schullaufbahn :sad: In unseren sortierten Klassen gibt es meist Musterschüler/innen, die den anderen etwas voraus sind und Schüler/innen, die etwas hinterher sind, und diese Klassifizierung wird kaum durchbrochen. Es sind also immer dieselben, die "Vorbilder" sind und immer die selben, die sich an den Vorbildern orientieren sollen. Dies wird bei MM dadurch aufgebrochen, dass drei Jahrgänge zusammengefasst werden und zusätzlich die Klassenräume räumlich nicht geschlossen sind und so für die Zöglinge ein Wechsel zu höheren oder niederen Klassen einfach und ohne Umstände jederzeit möglich ist.
Also ich bin überzeugt, dass das auch in unseren Schulen gut wäre.
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ich hab gehört das es für Kinder ab 1 Jahr Montessori Kurse gibt.
Hat den jemand besucht?
Würde mich nämlich interessieren und wo ich fragen kann ob es einen Kurs in meiner Nähe gibt.
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ich habe in einem anderen Beitrag auch schon einmal auf das unten genannte Buch hingewiesen, das mir persönlich sehr empfehlenswert erscheint. Es enthält viele praktische Tipps für den Erziehungsalltag. Die Autorin führt (oder führte :roll: ) Kurse durch, die das Thema Erziehung nach Montessori behandelten. Diese Erfahrung ermutigte die Autorin zum Schreiben des Buches.
Falls Du mit einem Kurs also nicht fündig wirst, vielleicht wäre ja die Literatur was für Dich? ;-)
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Super schön, was Du über Montessori geschrieben hast!
Aber bei dem Punkt möchte ich widersprechen, weil das ein ganz wichtiger Punkt ist ;-)
Gerade Lob und positive Verstärkung gibt es bei der klassischen Montessori-Geschichte nicht.
Und genau das finde ich u. a. so gut :-)
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Ich war länger nicht im Forum als ich gestern auf neueste Nachrichten geklickt habe, kam nur eine Seite. Auch bei aktive Beiträge kam nur eine Seite. Ich dachte mir dann, so faul könnt Ihr nicht gewesen sein
Und es stimmte...es waren viel mehr Beiträge, da hab ich aber jedes Thema einzeln angeklickt.
Und irgendwie auch dieses. Wunderte mich schon, dass ich mit den Namen der Mütter nichts anfangen konnte, obwohl doch einige ziemlich aktiv sind. Jetzt brauch ich mich nicht mehr wundern
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