Das erste Mal

ElieElie

237

bearbeitet 6. 03. 2006, 20:53 in Geburtsberichte
... dass ich ein Kind bekam:
Es ist zwar schon fast 13 Jahre her, aber bald kommt die nächste Geburt, also schreibe ich das hier zu meiner Ermutigung ;-) und hoffe, man verzeiht mir, mit den ollen Kamellen zu hausieren!

Morgens um 6 Uhr, 5 Tage vor dem ET, wachte ich plötzlich auf. So früh! Ich! Zwack! machte es im Bauch. Und ich sass in einer großen Pfütze. O je! Ich flüchtete wie der Blitz auf die Toilette und versuchte herauszufinden, ob ich inkontinent geworden war oder einen Blasensprung hatte. Alle paar Minuten gab es eine Art Menstruationskrampf. Also ab unter die Dusche, um zu sehen, ob das mehr würde - oder weniger. Ich war ziemlich aufgeregt. Und es wurde mehr! Also wurde ich noch aufgeregter. Ich weckte meinen Mann, der ganz entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten sofort hellwach war. 5 Minuten Abstand zwischen den Wehen! Bei 5 Minuten sollte ich den Hebammen-Bereitschaftsdienst anrufen. Tat ich, mit zitternden Fingern. Sie sagte, wir sollten um 9 in der Praxis sein (einer anthroposophischen Praxis, die ambulante Geburten ermöglichte). Wir warteten... schwierig, weil VIEL zu lang... bis es Zeit war.
Ganz glücklich nahm ich meine Tasche; Rundblick im Zimmer: alles gerichtet für das Baby. Das Bettchen bezogen, die Wickelkommode stand einladend da, und so auch, unten, das Taxi (Auto hatten wir nicht). Ich polsterte mich noch schnell mit 2 Flockenwindeln aus, dachte aber, so arg viel kann da ja nicht mehr kommen, nach dem Schwall von vorhin.
Mit dem taxi mußten wir ans andere Ende der Stadt. Der großen Stadt. Morgens um 9 war alles zu; Stau. Im Bauch zog es heftiger. Noch tönte ich, dass das ja auszuhalten sei. Leider wurde es wieder feucht, nass, patschnass; das Fruchtwasser war wohl recht großzügig bemessen

von Mutter Natur. Die Binden waren durch, der Mantel auch; die Taxisitze waren aus Kunstleder und mein Sitz glänzte nass. Ich dachte nur "oh NEIN!"
Wir waren auf der Stadtautobahn. Der Verkehr ging nicht weiter, und ich glaubte, ich würde das Kind unterwegs bekommen. Auf den Plastiksitzen. Ob irgendjemand im Stau mit einer frischen Zeitung aushelfen könnte, zum Drauf-Gebären? Fisch wurde früher auf dem Markt ja auch in sowas gewickelt. Muss also halbwegs hygienisch sein.
Der Taxifahrer hatte zum Glück starke Nerven.
- Wie auch immer, schließlich waren wir da; ich entschuldigte mich für das viele Fruchtwasser; er meinte "Kein Problem!" und lächelte - wirklich freundlich.
Die diensthabende Hebamme war leider nicht Marion, bei der ich die Geburtsvorbereitung gemacht hatte und die ich äußerst sympathisch fand. Es war Petra (Name geändert! ;-)), eine Frau, die ausstrahlte, vor Jahrzehnten alle Gefühle aufgegeben zu haben. - Ich fühlte mich durch Sue-Ellens Geburtsbericht etwas an sie erinnert... -
Ich mußte mich hinlegen, bekam ein CTG gemacht, sie prüfte den Muttermund und wühlte ein bißchen darin herum, um die Wehen anzuregen - sie war der absolut ungewöhnliche Fall einer Hebamme mit mittellangen, rot lackierten, spitzen Nägeln. Ich sah ihre Hand mit Besorgnis in mir verschwinden. Es tat ziemlich weh, und ich glaubte, ein Ratschen zu fühlen. Von diesem Moment an wurden die Schmerzen tatsächlich sehr viel größer, ziemlich unerträglich; Ihr kennt das. Die Wehen kamen deshalb leider nicht öfter. Wir waren bei 3 Minuten zwischen Wehe und Wehe. Der Muttermund wenig geöffnet, so 3 cm.
Petra schickte mich um den Block, spazieren. Alle paar Meter blieb ich stehen, krümmte und hockte mich hin und brüllte leise. Empört zog eine vorbeikommende Dame ihren Kleinhund vermittelst automatischer Schnappleine an sich. Wahrscheinlich erlebte sie das bei jedem Spaziergang, so nahe an dieser Praxis.

Inzwischen war es 12 Uhr. Ich stieg noch ein bißchen Treppen, bis ich nicht mehr konnte. In der Praxis gab es Schichtwechsel, Petra durfte nach Hause, was weder sie noch mich traurig stimmte, Christine kam. Na zum Glück!! Zwar nicht Marion, aber immerhin. Sie fand den Muttermund ca. 4,5 cm weit und gab mir Caulophyllum, ein homöopathisches Mittel, um Wehen anzuregen. Wirkte auch sofort, sie kamen jetzt noch öfter; ich glaube, ich hatte dann bis zur eigentlichen Geburt alle 1 1/2 Min. Wehen. Ich hing über einem Pezziball und litt.

Betäubung wollte ich nicht, das Erlebnis Geburt hat Frau ja ziemlich selten, vielleicht nur einmal, also wollte ich es unbedingt mitkriegen. Außerdem hatte ich durch eine Gehirnentzündung 2 Jahre davor Lähmungserscheinungen kennengelernt; die waren zum Glück wieder weg, aber seither mag ich Anästhesie noch viel weniger als davor.
Eine Frau aus meinem Vorbereitungskurs war auch da, in Wehen, im anderen Zimmer. Als ich mal wieder ins Bad wollte ( Durchfall? Erbrechen?? hatte mit beidem zu tun; Ihr wißt, wovon ich rede), sah ich sie durch den Flur wanken, von einem fahrbaren Gestell eingerahmt; über ihr baumelte wie eine kleine Laterne ein Beutel mit Lösung, die ihr in die Armvene injiziert wurde. Wahrscheinlich Wehentropf. Das sonst blasse Gesicht war hochrot, die blauen Augen trüb, der Blick ungläubig, starr, umnachtet. Ihr halb so breiter Mann stützte sie links, schneeweiß und besorgt aussehend, die konzentriert wirkende Hebamme rechts. Ich wußte nicht, wohin sie wollten, hörte eine Türe klappen und dachte: "o je, sicherlich zur Notaufnahme ins Krankenhaus". Ich dachte, sie stirbt, und fing an, für sie zu beten. Gräßlich, gräßlich. Ich würde auch sterben. Wie sollte das schon gehen? Das Kind da raus kriegen? Wahrscheinlich war es eh schon tot, durch die endlosen Wehen. Meinen Mann konnte ich auch kaum noch um mich haben; sein Anblick vergrößerte meine Schmerzen - , so war es nun mal, unsere Beziehung war schon ziemlich am Ende damals (obwohl er ein wirklich hochsympathischer Mensch ist). - Jedenfalls, in diesem verzweifelten Moment kam die Hebamme zurück; meine "Kollegin" habe glücklich entbunden und wollte mir ihr Baby zeigen! Um mir Mut zu machen! Uff! Sie lebte also noch! Da lag sie im Bett, wieder normalfarben, sah überraschend erholt aus und hielt ein winziges rotes Baby im Arm, eingepackt in ein weiches Molton. Ihr Mann strahlte, so sehr es überhaupt geht, und ich gratulierte und krümmte mich dabei von Zeit zu Zeit.

- Bei mir kam die nächste Runde Caulophyllum, dann wollte ich keins mehr, es "wehte" mir schon genug. Sich auf den Rücken legen zu müssen für die Untersuchungen war schrecklich. Autsch! - So langsam, langsam ging der Muttermund weiter auf. Er machte es ziemlich spannend. Die Hebamme bot mir, mit Blick auf ihre kleine schwarze Armbanduhr, den Wehentropf an; sie wollte langsam heim. Ich zwar auch, aber Wehentropf - nee, nicht, solange es auch ohne gehen konnte.

Endlich, als die Wehen noch viel unerträglicher geworden waren - wie schafften sie das nur? -, - ENDLICH sagte sie, ich könnte jetzt anfangen zu pressen. Hurra! Das tat ich! Ich schrie zwar so laut wie bei den vorherigen Wehen - ich brüllte wie noch nie -, aber es fühlte sich weiß Gott anders an. Sehr lustvoll, nicht nur schmerzhaft. Ich presste 2-, 3mal, im Stehen, von Christine von hinten fest umfangen und gestützt, und spürte, wie sehr ich mich auf sie verlassen konnte. Sie schien der Sache so gewachsen, und das war ein gutes Gefühl. Sie sagte mir, wann wie drücken, und das tat ich, aus Leibeskräften. Und dann sollte ich ins Geburtszimmer rübergehen. Laufen? Jetzt??! Mit ein paar Wehenpausen unterwehs hatten wir´s dann geschafft, fragt nicht, wie; ich kam grade noch aufs Bett, graziös wie ein Maikäfer, da spürte ich den berühmten stechenden Schmerz - aha - jetzt reißt´s gleich, ich sollte jetzt schnauben - nee - lass reißen!, dachte ich mir, völlig egal, das muss jetzt sein - sorry, Baby, dass ich nicht langsamer machen kann, ich hoffe, Du überstehst es trotzdem - und: PRESS - und platsch! platsch! Erstaunlicherweise 2 x platsch - da lag es, das Baby.
Mein Mann erzählte hinterher, ich hätte es in die Luft geboren, es wäre fast auf den Boden gefallen; Christine fing es auf! Eine Sekunde mußte ich Mut sammeln, es anzuschauen. Ich wußte ja nicht, ob es - wer weiß (hatte mal einen Albtraum in der Schwangerschaft) - vielleicht schrecklich aussehen würde.
Und dann schaute ich. Und es war wunderbar! Heil, ganz, Vollkommenheit ausstrahlend, ich mußte gar nicht erst die Fingerchen zählen, es sah so richtig aus, ein echtes Baby. (Später habe ich gezählt; das Kind hat wirklich alles.) Außer dem ersten Kuß von meiner großen Liebe, meinem Mann der schönste Moment meines Lebens. Es wurde mir auf den Bauch gelegt. Oh, dieses Gefühl! Berstend vor Glück.
Dann wurde es gewaschen und vermessen; alles, wie es sein soll. 3470 g, 53 cm, höchste Apgar-Punktezahl. Kurz vor 6 Uhr abends geboren, nach fats 12 Std also.
Mir wurde die Platenta rausgezogen, was zu einem Blutsturz führte; die Hebammengriffe nutzen nichts, aber das Mittel, das sie mir spritzte, wirkte; mir war es egal, ich hätte gut sterben können in diesem Moment, erfüllt, dankbar, schmerzfrei.

Mein Baby war das erste neue Leben in der Familie seit dem Tod meiner zweitältesten Schwester vor 15 Jahren. Für mich war die Geburt endlich die Erfahrung, dass etwas essentiell Wichtiges - SO! - gut ausgehen kann!

Dass das Leben weitergeht!

Dann kam der Arzt, mißlaunig; er schaute sich das Baby an, war zufrieden, und haute mir eine Spitze in einen Nerv am Scheidenausgang, um die Dammnaht zu machen, und ich bekam das Spritzenhämatom meines Lebens, nur - die Anästhesie funktionierte nicht. Er stieß mir den Drahtkrampen (so fühlte es sich an) einige Male durch das geschundene Fleisch, ich schrie, und er servierte das in diesen Fällen so beliebte "Stellen Sie sich nicht so an!"

Glücklicherweise war er irgendwann fertig und ging. Mein Baby brüllte auch, immer noch, kräftig; endlich durfte ich es stillen. Es schnappte kraftvoll zu und saugte heftig. Und war jetzt sichtlich einverstanden mit allem. Nachdem es Brust II erledigt hatte, fiel mir ein, dass ich ja noch gar nicht wußte, ob es ein Junge oder ein Mädchen wäre? Ich fragte meinen Mann. Der wußte es erstaunlicherweise nicht. Christine auch nicht. Wir hatten alle nicht drauf geachtet. Also fasste ich unter das Molton, in das es gewickelt war - voilà, ein kleiner Junge!
Ich bekam noch eine Flasche Wasser zu trinken, wegen des Blutverlusts, und durfte unter die Dusche. Mir wurde ziemlich schwarz vor Augen, aber trotzdem war alles schön. Ich war bis unters Kinn mit Blut bestrichen, eine kleine Reinigung mußte schon sein. Und dann mit dem

Storchenexpress zurück nach Hause, Tommi in der Tragetasche auf meinem Schoß, versteht sich!

Draußen war es noch hell, blauer Himmel, weiße Wölkchen, blühende Kastanien.
Ich wurde in einem Stuhl in den 4. Stock hochgetragen, immer mit meinem Baby auf dem Schoß, meinem lieben.

4 Tage war ich im siebten Himmel. Bis er mit schwerer Neugeborenengelbsucht ins Krankenhaus mußte. Nur mit einer Windel und einer Art schwarzer Skibrille bekleidet lag er unter violettem Licht, und ich heulte, bis er wieder gesund war und wir gehen durften. Außerhalb der Klinik war nach wie vor Mai, und das war ziemlich erleichternd, nach dem Schreck.

Kommentare

  • tesorotesoro

    4,431

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Wow! Ein toller Bericht! Lustig und rührend zugleich! Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele schreiberische Talente sich hier tummeln! Man sollte mal diese ganzen Berichte sammeln und ein Buch darus machen, finde ich.

    Ich lese in diesem Forum sehr, sehr gerne.
  • MamaMama

    331

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Hallo,

    genau DAS (mit dem Buch) hab ich auch gerade gedacht. Das ist ein Superbericht und auch, wenn es schon ettliche Jahre her ist, ich bin froh, dass ich das heute lesen durfte.

    Hmm, gratulieren paßt ja nun doch nicht mehr so richtig, also wünsch ich alles Gute für das zweite Mal.
  • ElieElie

    237

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Liebe Tesoro, liebe Heike,

    ganz lieben Dank für Euer Feedback! und vielen Dank für die Wünsche zu Baby II!
    das mit dem Buch dachte ich auch schon. Mir gehen Geburtsberichte nämlich auch sehr nah. Wie Sue-Ellen mal schrieb, Geburt ist eine Zwischenzone zwischen Leben und Tod. Da geht es ums Eingemachte! Wer sich dafür nicht interessiert, was kann den überhaupt interessieren??

    Es gibt allerdings schon ein ähnliches Buch, "Babys machen Mütter stark". Andererseits sind das bloß ein PAAR Berichte - ... Ich hatte damals eine Rezension darüber zu schreiben, dehalb kenne ich´s.
    Wäre doch eine Idee für Hebamme4you, vielleicht? Ein Buch herauszugeben? Unsere Beiträge könnten doch als kleiner Dank an diese fantastische site gehen (- abgesehen davon, dass man an Büchern sowieso herzlich wenig, wenn überhaupt verdient, im Normalfall)? Und der site könnte es als Beirtag zum Unterhalt dienen?

    - Wie immer spinne ich so vor mich hin! Aber manchmal wird ja auch was draus! :-))

    Alles Liebe

    Eva
  • Amelie77Amelie77

    1,414

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Ein wunderbarer Bericht, ich habe geheult und bis zum Schluss mitgezittert, mitgelebt. Alles Liebe für Baby Nr. 2
    Amelie
  • ElieElie

    237

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Danke, liebe Amelie! Dein Bericht wird mindestens genauso gut!

    Dir auch alles Gute mit Butzi und der wunderbaren Welt der Schwerkraft eines runden Bauchs!
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