Und dann kam alles anders.... (achtung lang!)

BibileinBibilein

4,312

bearbeitet 16. 07. 2006, 13:42 in Geburtsberichte
ET 28.03.06.
Es ist der 03.04. und mein Arzt schickt mich zur Einleitung in die Klinik. Mein Mann und ich fahren in das Krankenhaus voller Erwartungen, Freude aber auch Unsicherheit, aber mit der Gewissheit, dass es jetzt wirklich nicht mehr lange dauert, bis wir unseren kleinen Engel in der Hand halten. Wir wissen noch nicht was es wird, wollen uns überraschen lassen.
04.04.: 07:30 Uhr „Was ist eigentlich eine Einleitung?“ Das wird uns ausführlich erklärt. Der Muttermund wird mit einem Gel eingeschmiert, welches die Wehen auslösen soll. Es wird alle zwei Stunden ein CTG gemacht und regelmäßig überprüft, wie die Eröffnungsphase voranschreitet. Dies wird max. 3 Tage gemacht, wenn sich bis dahin nichts tut, rät man zu einem Kaiserschnitt. Auch hier werden wir vorsorglich über den Schnitt, die Folgen etc. aufgeklärt. Wir wünschen uns eine natürliche Geburt. Schließlich habe zumindest ich schon seit meiner frühen Jugend ein ganz genaues Bild davon, wie es einmal sein wird (ähnlich wie bei der Hochzeit). Und seit der Schwangerschaft setzt man sich noch mehr mit diesem Thema auseinander. Man geht 10x in einen Kurs, der einen vor allem auf diesen Moment physisch und psychisch vorbereitet. Ich bin bereit. Bereit, wenn es sein muss 3 Tage durchzustehen, denn ich wünsche mir nichts sehnlicher als eine natürliche Geburt.
Das Gel wurde „gesetzt“ und schon wenige Minuten später spüre ich erste Wehen. Wir freuen uns. Laufen und laufen durch das Krankenhaus. Erkunden den Park. Gehen in die Kantine, mein Mann hatte noch nicht gefrühstückt. Ich bin zu aufgeregt um zu essen. Um zehn kommen wir wieder zum CTG. Leichte Wehen, Muttermund noch nicht nennenswert geöffnet. Wieder zwei Stunden warten, wieder der Park, mein Mann trinkt den nächsten Kaffee. Zwölf Uhr – keine Veränderung gegenüber zehn Uhr. Wehen zwar da aber nicht stark. Um zwei wird die zweite „Portion“ Gel gesetzt. Die Hebamme setzt ihren wie sie sagt „Spezialtrick“ ein, reibt das Gel so fest ein, dass sie Blut an den Händen hat. Plötzlich sind die Wehen sehr stark. Sie rät mir zu einem Einlauf. Ich stimme zu. Möchte an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Wer das erlebt hat, weiß ja welch ein Spaß das ist. Die Wehen werden immer stärker und ich entscheide mich dazu im Kreißsaal zu bleiben. Mein Mann und ich sind zuversichtlich, dass wir unser Kind bald sehen werden. Die Hebamme schaut regelmäßig nach uns. Ich kann jetzt nicht mehr sitzen oder liegen. Nur noch stehen oder laufen. Halte mich an dem Tuch, welches von der Decke fest um die Wehe auszuatmen, doch ich bin langsam erschöpft. Es ist mittlerweile 4 Uhr und die Hebamme lässt mir ein Entspannungsbad ein. Wir verdunkeln den Raum, entspannende Musik läuft und ich liege in der Wanne. Schaue in den Sternenhimmel aus kleinen Leuchten über mir und denke darüber nach, dass es bald soweit sein wird. In der Wanne spüre ich die Wehen kaum. Fürchte, dass sie nachlassen, aber es tut so gut, endlich mal zu liegen. Ich bleibe bis 8 in der Wanne, dann will ich raus. Doch was ist das? Die Wehen sind auf einmal kaum mehr zu ertragen? Die Hebamme sagt, dass die Wehen in der Wanne stärker wurden, ich das aber nicht gemerkt habe und jetzt kommen sie wie ein Schlag von hinten. Ich gehe von nun an nur noch gebückt. Liegen oder sitzen geht nicht. Das CTG wird nur noch im Stehen gemacht. Eine Wehe nach der anderen ohne Pause, das CTG ist eine einzige Hügellandschaft. Aber dem Kind geht es spitze. Herztöne immer um die 150. Das ist sehr gut. Es ist zehn Uhr und die „nächste Schicht“ ist da. Die Untersuchung, die ich nur unter Schmerzen über mich ergehen lasse, weil Liegen einfach der totale Horror ist ergibt, dass der Muttermund erst 3 cm geöffnet ist.
Man will für heute „abbrechen“ und morgen von Neuem beginnen. Für meinen Mann und mich bricht eine Welt zusammen. Und ich frage mich, wie ich jetzt bei solchen Wehen schlafen soll. Ich kann ja nicht liegen, nicht sitzen. Bin verzweifelt. Bekomme Zitteranfälle. Muss weinen. Bekomme Wehenblocker und ein Schlafmittel und sogar ein Privatzimmer auf der Station. Nach einer Stunde warten sind die Wehen immer noch nicht weg. Kann nicht mal mehr aufs Klo tut alles weh. Mein Mann stütz mich und begleitet mich zurück in den Kreißsaal. Nach langem Bitten und Betteln untersucht man erneut. 6cm! Man will weiter machen. Die Hebamme rät mir allerdings dringend zu einer PDA weil ich mich kaum noch untersuchen ließ, wegen der Schmerzen. Obwohl ich panische Angst vor der Spritze habe und die Geburt wirklich „richtig“ erleben will, stimme ich zu. Ab einem bestimmen Punkt protestiert man einfach nicht mehr, man lässt alles über sich ergehen.
Ab jetzt ist es so, als stecke ich nicht mehr in meinem Körper. Ich sitze irgendwo „oben“ und schaue auf mich herab. Beobachte, was mit mir geschieht. Ich muss einige Zettel unterschreiben. Beim Dritten Versuch klappt das mit der PDA. Die Anästhesistin ist etwas unsicher, weil mein Gewebe wohl „schwammig“ ist und hofft, dass die PDA richtig sitzt. Blasenkatheter folgt, ich spüre es zum Glück nicht. Ich werde an Geräte angeschlossen. Meinem Mann wird ein Bett ins Zimmer geschoben. Es ist mittlerweile ca. ein Uhr. Ich schlafe ein.

Es ist halb sechs Uhr morgens und die Hebamme kommt ins Zimmer. Sie untersucht mich. Der Muttermund ist vollständig geöffnet. Man wartet nun auf die Übergangsphase. Ich schöpfe neue Hoffnung. Mein Mann auch. Bald ist es soweit. Ständig muss ich zittern. Mein ganzer Körper verkrampft sich immer wieder. Ich bin so erschöpft. Schlafe wieder ein. Eine halbe Stunde später bricht eine Welt für mich zusammen. Die Herztöne von unserem Kleinen sind sehr schlecht, der Kopf passt nicht durch mein Becken. Man muss sofort einen Notkaiserschnitt durchführen. Die Anästhesistin wird erneut gerufen um das entsprechende Mittel zuzugeben. Ganz vorsichtig hebt man mich vom Bett auf einen Wagen und fährt meinen Körper in den OP. Ich „schwebe“ hinterher und beobachte das Spektakel aus der Luft. Mein Körper muss jetzt ständig spucken und die Krämpfe werden immer schlimmer. Mein Körper wird auf einen kalten Tisch gelegt. Es ist hell. Viele Leute sind um ihn herum wirken hektisch. Und immer wieder spucken und die furchtbaren Krämpfe. Ich bin am Ende all meiner Kräfte und Hoffnungen.
Mein Mann kommt in den Raum. Er hält meine Hand. Eine Schwester (oder Hebamme?) hält die andere. Ich muss weinen, spucken....
Der Arzt kommt. Kaum zu glauben, dass ich in dieser Situation auch noch Witze machen kann, aber als ich sah, dass es der gleiche Doc ist, der den Morgen zuvor die Untersuchung bei mir machte muss ich wohl folgendes gesagt haben: „ na Sie haben ja schon eine lange Schicht hinter sich. Wollen Sie nicht vielleicht noch einen Kaffee trinken, bevor Sie mich aufschneiden?“ alle lachen. Ich glaub ich fand das gar nicht witzig – gut im Nachhinein schon aber nicht zu diesem Zeitpunkt. Die Anästhesistin ist sichtlich nervös, weil sie sich nicht sicher ist, ob die PDA gut „sitzt“. Sie kneift und zwickt mich immer wieder und erkundigt sich, ob ich etwas spüre. Ich glaube, ich spüre nichts.

Meine Bauchdecke wird aufgeschnitten, das Fettgewebe und die Bauchmuskel durchtrennt, die Gebärmutter geöffnet. Mein Körper ruckelt und ich muss mich wieder übergeben. Ich denke daran, wie schön es jetzt wäre ein eiskalte Coke zu trinken und dann ist es da, der Schrei meines Kindes! Einmal, ganz kurz. Mein Mann und ich brechen in Freudentränen aus. Es ist ein Junge! Wie wir es uns immer gewünscht haben.

Von nun an kann ich mich nicht mehr an alles genau erinnern. War zu erschöpft. Ich wurde zugenäht und mein Mann und mein Sohn, mein Kind, mein Engel werden zu mir gebracht. Ich sehe ihn an und kann meine Freude, die ich in diesem Moment empfunden habe gar nicht in Worte fassen (aber die, die selbst schon eine Geburt erlebt haben, wissen das ja nur zu genau). Ich glaube, ich wurde in diesem Moment neu geboren. So kann man es wohl ausdrücken.
Aber dann wurde er weggebracht. Zu meinem Mann auf die Brust. Man brachte mich auf die Intensivstation. Anscheinend (aber daran kann ich mich nun gar nicht mehr erinnern) kam mein Mann noch mal mit dem kleinen Mika zu mir aber ich war zu erschöpft um darauf reagieren zu können. Zwei Stunden war ich auf dieser Station und weitere zwei Stunden auf meinem Zimmer. Dann kam die Schwester mit dem Kleinen und er wurde zum ersten Mal angelegt. Danach war ich mit ihm allein. Bewundere sein schönes Gesicht, seine vielen Haare, die kleinen Hände, die Äuglein, den Mund, die Nase (die total plattgedrückt war) und dann fällt mein Blick auf das Schild über seinem Kopf.
„Mika geb. 05.04.06 um 06:29 Uhr..... 5080g und 56 cm“ .... 5080g ich kann es kaum fassen. Aber er ist da und er ist gesund und ich bin so überglücklich.

Einen Tag später sage ich, dass ich es kaum erwarten kann, das nächste Kind zu bekommen! Trotz aller Strapazen, war das ein ganz besonderes Erlebnis, dass ich nicht missen möchte. (zumindest bis zum Kaiserschnitt)

Mika ist ein sehr lieber Junge, aufmerksam und schenkt mir jeden Tag ein Lächeln mehr. Unser Leben hat einen neuen Sinn und wir genießen jeden Tag mit dem Kleinen. Er ist eine Bereicherung für uns. Alles scheint irgendwie unwichtig neben ihm. Wir lieben ihn über alle Maßen und sind glücklich, dass er gesund und munter ist.

Noch heute, fast 11 Wochen nach Mikas Geburt zehrt der Kaiserschnitt an mir.. Es war nicht nur ein Schnitt in meinen Körper, welcher sehr gut verheilt, sondern auch ein tiefer Schnitt in meine Seele.
Ich möchte allen Frauen, die vielleicht einen Kaiserschnitt „planen“, bitten, sich darüber noch einmal Gedanken zu machen. Das Recht, eine Geburt zu erfahren, bleibt uns Frauen vorbehalten. Manche werden dieses Erlebnis nur einmal erfahren, manche öfter. Aber jede Frau, welche die Möglichkeit hat normal zu entbinden sollte dieses Geschenk annehmen.
Wunden können heilen, relativ schnell sogar. Aber wie schon geschrieben, der Schmerz im Herzen bleibt und ich glaube auch nicht, dass ich es jemals überwinden werde, ich werde lernen müssen, mich damit abzufinden. Und vielleicht „klappt“ es ja beim nächsten Mal. Jedenfalls werde ich dann anders an „die Sache“ rangehen. Wenn man im Vorfeld vom Schlimmsten ausgeht, kann man nicht enttäuscht werden.....

Danke, dass ich das hier schreiben durfte.

Kommentare

  • balou0204balou0204

    925

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Hallo,

    erstmal herzlichen Glückwunsch zu Deinem Mika, ist aber auch ein Wonneproppen!
    Ich kann mich Deiner Meinung nur anschließen, für mich ist ein Kaiserschnitt auch nur medizinisch vertretbar. Ich hatte tierisch Angst vor einem KAiserschnitt, nicht aber vor der Geburt. Immerhin ist das eine Bauch-OP und die Nachwirkungen weit schlimmer als die einer Geburt.
    Ich wünsche Dir, das Deine nächste Geburt ganz natürlich abläuft! :grin:

    LG,

    Balou
  • BibileinBibilein

    4,312

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    danke :knutsch01:
  • magicamagica

    196

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Auch von mir herzlichen Glückwunsch und ne gute Zeit zu Dritt :bounce02: .

    Habe noch Tränen in den Augen von deinem Bericht, sehr emotional geschrieben, vielen Dank dafür :razz:

    Alles Liebe von mir,
  • AnikaAnika

    163

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Oh ja Tränen haben sich bei mir auch gezeigt. Toll geschrieben.

    Ich wünsche euch alles Liebe mit dem kleinen Mann. Und ich hoffe das du dich bald völlig erholt hast. :knutsch01:
  • BibileinBibilein

    4,312

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Vielen Dank für die lieben Zusprüche. Ich hoffe, dass mir das Ganze hilft die Sache etwas besser zu verarbeiten. :fantasy05:
  • Amelie77Amelie77

    1,414

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Auch ich weine :cry: Da hast Du ja eine echte Tortur hinter dir, soviel Schmerz, Warten, Hoffen, Bangen, Angst - Gratuliere zu deinem strammen Sohn, Du warst sehr stark!!
    Amelie
  • bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Als ich deinen Bericht las ging mir das total nahe, denn du sprichst mir aus der Seele! Ich habe eine fas gleiche Erfahrung gemacht und habe das als sehr schlimm empfunden! Und habe aber auch genauso reagiert. Jetzt ein gutes Jahr später weiß ich das das wie nicht mehr so eine große Rolle spielt denn letztendlich zählt das sie bei uns sind. Ich denke jetzt an neuen Nachwuchs und auch der Gedanke an die Entbindung kommt wieder, nicht Angst davor sondern wieder das "wie"! Wenn man alles mitgemacht hat bei der Entbindung und dann kurz davor alles abbrechen muß, das war sehr schlimm. Ich hoffe wir haben beim Nächsten das Glück eine Natürliche Geburt zu erfahren. Aber meine Hebamme hat mir da viel Hoffnung und Mut gemacht denn wir haben schon etwas vorgelegt ;-)
  • LinusLinus

    405

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Das war wirklich nervenaufreibend......

    Bei deinem Bericht habe ich die ganze Zeit mitgelitten.

    Herzlichen Glückwunsch und alles Gute :bounce02: :bounce02: :bounce02:
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