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Kein Schlummertrunk für Babys: Kinderärzte warnen vor „Gute-Nacht-Mahlzeiten“ aus der Flasche
Nur satte Kinder schlafen gut – damit bewerben viele Kindernahrungshersteller ihre speziell für das abendliche Fläschchen entwickelten Fertiggetränke, die Babys und Eltern eine ungestörte Nachtruhe schenken sollen. Doch für gesunde Säuglinge sind diese besonderen Nuckelflaschen-Produkte ungeeignet und gefährden die Kindergesundheit, warnt die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ).
Meist verbergen sich hinter diesen „Abend-Trink-Mahlzeiten" und „Gute-Nacht-Fläschchen" hochkalorische Energiebomben, die am Bedarf gesunder Babys vorbeigehen. „Problematisch ist die Vermarktungsstrategie, die den Verbraucher leicht täuschen kann", kritisiert Berthold Koletzko, Vorsitzender der DGKJ-Ernährungskommission. „Die Produkte entsprechen nicht den gesetzlichen Auflagen für Anfangs- und Folgenahrung, weil ihre Energiedichte viel zu hoch ist. Sie sind Beikostprodukte, die für die Fütterung mit der Flasche nicht geeignet sind. Die Werbung aber zielt genau auf den Markt der Säuglingsfläschchennahrung."
Bei regelmäßig derart überfütterten Babys kann sich ein deutlich erhöhtes Risiko entwickeln, später fettleibig zu werden. Auch die Zutatenlisten der Produkte steht in der Kritik der Wissenschaftler, denn häufig finden sich hohe Anteile von glutenhaltigem Getreide, das damit viel zu früh und zu plötzlich in die Ernährung eingeführt wird und zu schweren Unverträglichkeiten führen kann.
Zudem sollte selbst im Kleinkindalter davon abgesehen werden, gesüßte und energiereiche Nahrung über eine Einschlafflasche zu geben, denn durch diese Gewohnheit droht die Entstehung der Nuckelflaschenkaries.
Die Ernährungsexperten der DGKJ fordern die Hersteller auf, die Vermarktung von Beikostprodukten zur Flaschenfütterung sofort einzustellen. Kinder- und Jugendärzte sollten Eltern konsequent von der Verwendung solcher Produkte in der Nuckelflasche abraten, da dies die Kindergesundheit gefährdet.
Die komplette Stellungnahme samt einer Liste ausgewählter Produkte, die von den Herstellern zur Flaschenfütterung angeboten werden, ist hier veröffentlicht.
Vermarktung von Beikostprodukten zur Flaschenfütterung
Stellungnahme der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
Die verbreitete Vermarktung von Beikostprodukten zur Flaschenfütterung ist aus Sicht der Kinder- und Jugendmedizin unakzeptabel. Unter Produktnahmen wie „Trinkbrei“, „Trink-Mahlzeit“, und „Gute-Nacht-Fläschen“ werden zahlreiche Produkte als Flaschennahrungen angeboten (Tabelle 1), die nicht der europäischen Gesetzgebung zu Säuglings- oder Folgenahrungen entsprechen (1).
Die Energiegehalte der Mehrzahl dieser Produkte liegen zwischen etwa 80 und 110 kcal/100 ml (335-461 kJ/100 ml), was sie zur Flaschenfütterung bei gesunden, nicht von einer Unterernährung betroffenen Kindern gänzlich ungeeignet macht. In der neugefassten europäischen Säuglingsnahrungsrichtlinie vom Dezember 2006 ist festgelegt worden, dass zur Flaschenfütterung von Säuglingen und Kleinkindern geeignete Produkte (Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen) eine Energiedichte von 60-70 kcal/100ml aufweisen müssen (1). Die derzeitige Vermarktungspraxis kann zu einer Täuschung der Verbraucher führen, die den Eindruck gewinnen müssen, bei den entsprechenden Produkten handele es sich um Säuglingsanfangs- oder Folgenahrungen.
Die Flaschenfütterung von Nahrungen mit einer stark überhöhten Energiedichte, wie sie bei den meisten dieser zur Flaschenfütterung angebotenen Beikostprodukten vorliegt, ist mit einem hohen Risiko der Überfütterung verbunden. Die bei regelmäßiger Verwendung zu erwartende übermäßige Gewichtszunahme im Säuglings- und Kleinkindalter ist nach den Ergebnissen von zahlreichen, in drei kürzlich veröffentlichten Meta-Analysen zusammengefassten Studien mit einem signifikant erhöhten Risiko für eine spätere Adipositas verbunden (2-4).
Die Einführung von Produkten mit glutenhaltigem Getreide in Form einer Flaschenfütterung ist strikt abzulehnen, da dies regelmäßig zur raschen Einführung einer hohen Glutendosis führt. Untersuchungen aus Schweden zeigen, dass eine solche Fütterungspraxis mit einem sehr stark erhöhten Risiko für die Entstehung einer schwer verlaufenden Zöliakie verbunden ist (5).
Im Übrigen muss befürchten werden, dass die Vermarktung von kohlenhydratreichen Produkten zur Flaschenfütterung beim Einschlafen zur Verwendung von Nuckelflaschen mit dem hohen Risiko der Entstehung einer Frontzahnkaries (Nuckelflaschenkaries) führt.
Aus der Sicht der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ist die Vermarktung von Beikostprodukten zur Flaschenfütterung unverantwortlich und gefährdet die Kindergesundheit. Kinder- und Jugendärzte sollten Familien dringend von der Verwendung von Beikostprodukten zur Flaschenfütterung bei gesunden Säuglingen und Kleinkindern abraten.
Die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin fordert die Hersteller auf, die Vermarktung von Beikostprodukten zur Flaschenfütterung an gesunde Säuglinge unverzüglich einzustellen.
Die Ernährungskommission der DGKJ:
Prof. Dr. Hansjosef Böhles; Prof. Dr. Christoph Fusch; Prof. Dr. Orsolya Genzel-Boroviczény;
Prof. Dr. Jobst Henker; Prof. Dr. Berthold Koletzko (Vorsitzender); Prof. Dr. Michael J. Lentze;
Dr. Reinhard Maaser; PD Dr. Walter Mihatsch; Prof. Dr. Martin Wabitsch
als Sachverständige: PD Dr. Mathilde Kersting; Prof. Dr. Hildegard Przyrembel
Tabelle 1: Beikostprodukte, die von den Herstellern zur Flaschenfütterung von Säuglingen oder Kleinkindern angeboten werden.
Nach Herstellerangaben im September 2007 zusammengestellt (ohne Gewähr für Vollständigkeit oder Fehlerfreiheit).
Zitierte Literatur:
1. Richtlinie 2006/141/EG der Kommission vom 22. Dezember 2006 über Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung und zur Änderung der Richtlinie 1999/21/EG. Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 401 vom 30/12/2006:0001 - 0033
2. Baird J, Fisher D, Lucas P, Kleijnen J, Roberts H, Law C. Being big or growing fast: systematic review of size and growth in infancy and later obesity. BMJ. 2005 Oct 22;331(7522):929.
3. Monteiro PO, Victora CG. Rapid growth in infancy and childhood and obesity in later life--a systematic review. Obes Rev. 2005 May;6(2):143-54. Erratum in: Obes Rev. 2005 Aug;6(3):267.
4. Ong KK, Loos RJ. Rapid infancy weight gain and subsequent obesity: systematic reviews and hopeful suggestions. Acta Paediatr. 2006 Aug;95(8):904-8.
5. Carlsson A, Agardh D, Borulf S, Grodzinsky E, Axelsson I, Ivarsson SA. Prevalence of celiac disease: before and after a national change in feeding recommendations. Scand J Gastroenterol. 2006 May;41(5):553-8.
Korrespondenz:
Univ.-Prof. Dr. med. Berthold Koletzko
Dr. von Haunersches Kinderspital, Klinikum der Universität München
Lindwurmstr. 4, D-80337 München
Quelle: Monatsschrift Kinderheilkunde 2007, 155:968-970
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Kommentare
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Das habe ich gleich mal in meinem Bekanntenkreis "gestreut".
Nicht, dass ich schon lange behaupte (dank des Wissens aus diesem Forum), dass dieses Zeug totaler Mist ist - die eine oder andere meiner Bekannten hat mir das noch nicht wirklich geglaubt...vielleicht jetzt!?!
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Also es gibt tatsächlich Leute, die sich über "sowas", zB die Ernährung ihrer Kinder, keinerlei Gedanken machen und zudem blindlings dem Kinderarzt vertrauen. Und ja, ich kenne solche Leute, bin sogar mit einigen befreundet. Die haben mich dann entsetzt angeschaut, als ich erzählte das 3er- Milch ja ein absolutes No-Go ist - "also meiner bekommt das schon soooo lange und der zieht die Flaschen weg wie nix. Was ist denn daran nicht gut?" Tja, irgendwann wurde dann auch klar, warum das Kind immer außerhalb der Gewichtskurve liegt/lag. Im übrigen dieselbe Mutter, die ihr Kind (so alt wie Melli) nebenbei mal ne Tafel Schokolade essen lässt, sich wundert, warum "der arme Kerl" denn auch so ne Neurodermitis hat wie seine Schwester und inzwischen dazu übergegangen ist, die Alete usw. Früchteriegel zu kaufen, "damit die beiden Kinder wenigstens etwas Obst zu sich nehmen!" :shock:
Naja, das eine oder andere kann man solchen Leuten ausreden, erklären und den Kindern somit gutes tun....
Aber dergleichen Beispiele gibt es um mich herum zu Hauf, leider.
Ich muss aber zu meiner Ehrenrettung sagen, dass das zwar Leute aus meinem Freundeskreis sind, aber ich würde nicht sagen, dass wir eng befreundet sind, eher so'n Zwischending zwischen Bekanntschaft und Freudnschaft.
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Wir haben hier schon so oft herumgestritten, unzählige Leute gehabt, die das nicht geglaubt haben, weil wir ja angeblich keine Quellen und Studien haben. Deswegen sind hier massenhaft Leute beleidigt abgerauscht, weil sie sagen, dann gäbe es ja solche Sachen nicht, wenn sie ungesund sind. Wir wären ja öko und hätten sowieso keine Ahnung....die Liste ist endlos.
Ich war zwar dabei die erwähnte EU Richtlinien zu lesen, aber die sind ewig lang, und so nicht unbedingt internettauglich.
Darum bin ich sowas von froh über diese Stellungnahme.....Ihr glaubt es nicht. Sie ist auch schon auf der Homepage und unter Flaschennahrung verlinkt. Vielleicht hilft es ja doch wenn mehrere Professorern uns zwar nur alles nachplappern..... :biggrin: :biggrin:, aber mit Titeln und Unterschriften wird es sicher eher geglaubt als von uns hier. Und wir müssen nicht mehr völlig entnervt beweisen, wo wir das her haben.
Und nochwas: wenn man diese Werbung sieht, habt Ihr schonmal darauf geachtet, wie die Kinder im Bett liegen?? Schön mit Kissen und niedlich...Ich würde die Mütter fragen, ob sie Ihr Kind auch so hinlgen, nur weil es im Webespot ist.
Ich mach mich auf die Suche nach einem Orden für braten
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Aber solche Punkte bestärken dann auch, dass sie es nicht unbedingt werden...
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In dem Beispiel bei dem es um mir ging, spielt es keine Rolle, wie man es nennt. Sie selbst leidet an SEHR starker Neurodermitis, das Kind bekam sehr früh Nüsse, Gluten, alles mögliche landete auf dem Speiseplan. Sie meinte, "nur" weil sie stillt würde sie genügend vorbeugen. Ich habe ihr UNZÄHLIGE Male gesagt, dass sie das Risiko für Ihren kleinen, selbst wenn sie nicht selbst betroffen wäre, erhöht und sie sagte nur :" Ich weiß" Und sie WEISS wie schädlich es ist. Sie tut es trotzdem. Will damit sagen: Es gibt (LEIDER!!!) jede Menge Leute, die ganz genau wissen, WIE gefährlich gewisse Lebensmittel für die kleinsten sind und sie geben es trotzdem. Diese Leute kann man leider mit solchen Stellungnahmen keinesfalls beeindrucken.
Ich hab ihr aber den Text gestern per Email geschickt, in der Hoffnung, dass sie vielleicht künftig darauf verzichtet. ;-)
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Ich finde es jedenfalls gut, dass man das jetzt auf der HP nachlesen kann. Solche Quellen sind leider wirklich rar :confuded: