Hallo Ihr Lieben!
Es hat wirklich arg lang gedauert, bis ich es geschafft habe, mich einfach mal wieder vergnüglich an den Rechner zu setzen und mit der weiteren Welt zu kommunizieren. Durch unseren Umzug war ich lange nicht online. Das Auspacken von Umzugskisten und die Versorgung unseres kleinen Schatzes hatte erstmal Priorität.
Euch gegenüber habe ich dennoch ein ganz schlechtes Gewissen ... und will ich auch gleich mit dem fertigen Geburtsbericht wiederkommen ...
Der ist ziemlich ausführlich, denn er soll auch für uns eine Erinnerung an die letzten Tage der Schwangerschaft, die Geburt und die Tage danach sein.
Also hier ist er und er ist lang:
Nachdem ich schon ein paar Tage über dem errechneten ET war, wurde es der versammelten Ärzte- und Hebammenschaft, mit denen ich zu tun bekam, immer mulmiger. Sie alle waren sich ziemlich sicher, dass das Kind früher kommt als erwartet. Und nun sogar eine Terminüberschreitung! Je mehr Zeit verging, umso engmaschiger wurde ich überwacht. Irgendwie erwachte bei meiner FÄ eine gewisse Unbehaglichkeit, von Panik kann ich nur bei der einen (ungeliebten) FA-Praxis-Hebamme sprechen, die mir jeden Tag mit einer neuen Horrorprophezeiung kam.
Schon am Tage nach dem ET wurde ich zum Wehenbelastungstest ins Krankenhaus geschickt, verbunden mit einem Tag Klinikaufenthalt. Offizielle Begründung: Ödeme und auffälliges CTG. Naja, das Kind bewegte sich so stark, dass nichts aufgezeichnet werden konnte. Im Krankenhaus zuerst Doppler. Ergebnis: Keine Wehen, Herztöne super, reichlich Fruchtwasser. Dann Wehenbelastungstest. Wehen setzten durch den Tropf ein und gingen wieder. Auch hier: Herztöne super. Trotzdem sollte ich im Krankenhaus bleiben, „zur Überwachung“. Eine Nacht hielt ich aus, dann wollte ich heim. Ich konnte in dem Bett nicht liegen, die Klimaanlage war laut, dass man nur mit Ohrstöpsel schlafen konnte und im Liegen kommen die Wehen bestimmt nicht. Die Ärzte konnten dies überhaupt nicht verstehen. Alle Schwangeren bleiben im KH, wenn der Termin überschritten ist. Merkwürdig. Als ich das KH dennoch verließ, wurde ich etwas misstrauisch beäugt, denn Widerstand gegen Ärztemeinungen war man nicht gewohnt. Nach einigen Mühen akzeptierte man allerdings, dass wir nicht zu allem ja und amen sagen, sondern exakte Vorstellungen und uns jede Menge Wissen angeeignet hatten. Dennoch verabsäumte man nicht, uns unspezifisch darauf hinzuweisen, welch´ fürchterliche Risiken bei Überschreiten des ET bestehen und deshalb eigentlich ein Klinikaufenthalt unabdingbar sei. Aha, nur dass nichts weiter als täglich CTG gemacht wird – und die damit verbundene Überzeugungsarbeit bezüglich einer Geburtseinleitung. Für uns stand fest: Wir wollten den Beginn der Wehen zu Hause erwarten und nur dann medizinische Hilfe in Anspruch nehmen, wenn hierzu ein objektiver Grund bestand.
Jedenfalls musste ich nun jeden Tag zum CTG und am Wochenende hierzu in die Klinik. Jedesmal musste ich unterschreiben, dass ich auf einen Klinikaufenthalt verzichte und auf die „Risiken“ hingewiesen wurde. Meine Akupunktur-Hebi Bärbel brachte weiterhin nicht nur einige Entlastung bei meinen Ödemen, sondern sorgte auch für meine mittlerweile etwas gebeutelte Seele. Kein Wunder bei der Nerverei durch die Ärzte und den blöden Fragen vorallem der entfernteren Bekanntschaft.
Ich hätte es dank Bärbel trotzallem ein recht gutes Gefühl und war sehr zuversichtlich, dass es irgendwann von allein losging. Am Montag, 10.5., gerademal 8 Tage über ET, schlugen dann die Wellen hoch, als meine FÄ meinte, sie könne es nun nicht mehr verantworten, dass ich noch „frei“ draußen rumlaufe, sprich nicht längst im KH liege. Sie hatte arge Bedenken wegen meiner Ödeme und der starken Gewichtszunahme in der letzten Zeit. Bärbel kannte das schon, beruhigte mich zunächst, teilte aber letztlich die Befürchtung einer nahenden Gestose. Sie sprach an, was ich schon irgendwie ahnte: Wir brauchten offenbar mindestens einen deutlichen Anstoß, um Wehen zu bekommen. Ich hatte selbst schon beobachtet, dass ich unbewusst immer meine Bauch fest anspannte, irgendwie, als wolle ich mein Kind nicht loslassen. Alle Hausmittelchen hatten ja nichts gebracht. Es war wohl die Seele, die nicht richtig mitspielte. Wahrscheinlich wäre mit der Zeit der Moment gekommen, zu dem wir beide bereit zur Geburt gewesen wären. Bärbel akupunktierte zur Entspannung und riet mir, gegen Ende der Woche einen weiteren Wehenbelastungstest zu machen, der vielleicht den nötigen Anstoß gibt.
Am Dienstag, 11.5.2004, war ich dann morgens wieder zum CTG in der FA-Praxis. Irgendwelche Veränderungen hatte ich nicht bemerkt, insbesondere spürte ich keine Wehen. Auf dem CTG sollen dann aber leichte Wehen und ein gleichzeitiges Abfallen der Herztöne zu erkennen gewesen sein. Bei aller Liebe, ich sah nichts. Für meine Ärztin war dies aber nun der Grund, mich wieder ins KH zu schicken.
Mein Mann und ich waren durch diese Diagnose dann doch in Sorge. Wir wollten beide gerne warten, aber natürlich unter keinen Umständen unser Kind gefährden. Also sind wir gegen Mittag ins KH. Der Doppler bestätigte das Abfallen der Herztöne nicht, dafür hatten wir weiterhin Grund zur Beunruhigung, denn mein Blutdruck, sonst ein Muster an Beständigkeit im Normalbereich, stieg aus dem Stand kräftig an. Jetzt hatten wir nun alle drei Anzeichen einer Gestose: Ödeme, starke Gewichtszunahme und hoher Blutdruck. Zum Glück war die Versorgung des Baby´s noch einwandfrei. OA Dr. Eichner nahm sich sehr viel Zeit, um die Diagnose zu besprechen. Mit ihm hatten wir die Fronten schon vor einiger Zeit geklärt und er akzeptierte unsere Meinung voll und ganz, sprich, es war ein Gespräch auf Augenhöhe. Lange Rede kurzer Sinn: Es bestand die nicht wegzudiskutierende Gefahr, dass bei einem weiteren Zuwarten die Versorgung des Baby´s schlechter wird und uns dann wirklich nur noch der Kaiserschnitt bleibt, weil das Kind eine natürliche Geburt nicht mehr durchstehen kann. Er gab uns eine Prognose von noch 2-3 Tagen, in denen die Versorgung noch gesichert sei, länger befürchtete er, könne sie nicht aufrechterhalten werden. Um unseren Wunsch nach einer natürlichen Geburt zu retten, beschlossen wir, es zunächst mit dem schon angedachten Wehenbelastungstest zu versuchen. Einerseits, um die Reaktion des Kindes zu testen, andererseits um vielleicht den nötigen Anschub zu schaffen.
Gesagt, getan. Etwa gegen 14:00 Uhr ging´s los. Der Kreissaal wurde bezogen und ich an den Wehentropf gehangen. Trotzdem, so richtig überzeugt, dass das Kind dadurch auf den Weg gebracht wird, war ich leider immer noch nicht. Die Wehen setzten ein, die Herztöne waren völlig in Ordnung. Nach fast 2 Stunden wurde ich wieder „abgekoppelt“ und die Wehen verschwanden gleich wieder. Wir machten uns auf zu einem Spaziergang im Klinikpark. Doch auch in der Nacht setzten keine Wehen ein.
Mit Dr. Eichner hatte ich am späten Abend nach einer weiteren Untersuchung bei noch höherem Blutdruck dann eine weitere ausführliche Besprechung. Er beschrieb den Ablauf einer Einleitung und auch das erhöhte Risiko, dass die Geburt mit einem Kaiserschnitt enden könnte. Er betonte, dass er uns die Entscheidung überlässt. Ich bemerkte dabei deutlich sein Bemühen uns zu verbergen, dass ihm wohler wäre, wenn wir uns für die Einleitung entscheiden.
Mein Mann und ich beratschlagten, kamen aber recht schnell zu einer Entscheidung. Das Risiko, dass bei einem noch längeren Abwarten die Versorgung des Kindes wegen einer Gestose beeinträchtigt wird, erschien uns zu hoch. Wir wollten einen natürlichen Ablauf der Geburt, aber eben nicht um jeden Preis. Nach einer Nacht „drüberschlafen“ und morgendlichem Abstimmen mit Jens teilte ich Dr. Eichner unsere Entscheidung am 12.5.2004 gegen 7:30 Uhr nach der morgendlichen Visite mit.
Los ging´s.
Eine halbe Stunde später wanderte ich mit meinen „Geburtsutensilien“ in den Kreissaal. Ich war total aufgeregt, vergleichbar vielleicht mit dem Gefühl vor einer großen Reise. Barbara, die Hebamme, die uns den Kreissaal gezeigt hatte, hatte Dienst. Sie ist so alt wie ich und super nett. Im Kreissaal machte ich es mir bequem. In der kurzen Wartezeit bis Jens eintraf, hörte ich den ersten Schrei eines im Nachbarkreissaal gerade geborenen Kindes. Mir stiegen Tränen in die Augen und ich wurde mir das erste Mal richtig bewusst, dass heute auch unser Kind geboren wird.
Die Vorbereitungsprozedur war kurz. Rasur brauchte ich nicht; der Einlauf war wohltuend und in gewisser Weise auch beruhigend.
Gegen 9:00 Uhr wurde der Wehentropf angeschlossen und die Fruchtblase geöffnet. Dies wurde deswegen gemacht, weil ich sehr viel Fruchtwasser hatte und das Köpfchen partout nicht gegen den Muttermund drücken wollte. Ich spürte einen angenehm warmen Schwall aus mir herausströmen. Leider blieb uns eine Kopfschwartenelektrode nicht erspart. Es war aber anders nicht möglich, die Herztöne zu erfassen, da unser Baby immer wieder gegen den CTG-Kopf boxte. Auf eine lückenlose Überwachung wollte man aber doch nicht verzichten.
Kurz darauf – etwa gegen 9:30 Uhr setzten die Wehen ein – wie erwartet heftig und ohne Vorwarnung. Ich kann dennoch nicht behaupten, dass die Wehen unerträglich waren. In den Wehenpausen flachsten wir mit der Hebamme herum. Ich durchwanderte den Kreissaal einschließlich der Gänge; bestaunte die an der Wand hängenden Babybilder. Die Zeit verging rasch, die Wehen wurden einigermaßen regelmäßig und gegen Mittag hatte sich der Muttermund auf 4 cm geöffnet. Ich bekam verabredungsgemäß eine Injektion mit einem homöopatischen Mittel, welches die Wehen erleichtern und die Eröffnung beschleunigen soll. Offenbar wirkte es und um 14:00 Uhr war der Muttermund auf 8 cm. Ich war frohen Mutes, dass wir es bis 17:00 Uhr geschafft haben – zu dieser Zeit endete die „Kurve“ des Geburtsberichtes der Hebamme und sie meinte, dass sie eigentlich keinen neuen Bogen anfangen will.
Schichtwechsel – mit Rosi, eine der dienstältesten Hebammen, lieb, wie man sie sich nur wünschen kann und unheimlich erfahren, ging es nun weiter.
Kurz nachdem Rosi übernommen hatte, spürte ich irgendwie den Drang zum Pressen. Weil der Muttermund noch nicht weit genug auf war, war für eine kurze Zeit Hecheln angesagt, wenig später (zumindest nach meinem Gefühl) sollte ich dann schon mitpressen.
Ab hier versagt meine konkrete Erinnerung an Zeit und Raum. Irgendwann stellte Rosi fest, dass sich der Muttermund nicht weiter öffnete und das Köpfchen nicht weiter nach unten wanderte. Sie sprach von einem Saum an der Pfeilnaht (?) Also wieder aufstehen und die Schwerkraft ausnutzen. Gar nicht so einfach mit Presswehen. Dank Jens und Rosi schaffte ich es aber. In der aufrechten Position und im Sitzen gingen nun allerdings die Wehen zurück. Nur in Seitenlage rechts wurden sie wieder stärker. Die Position war eigentlich unmöglich; ich hing seitwärts in Schräglage mit hochgestelltem Kopfteil leicht gekrümmt mit dem Oberkörper halb auf dem Bett, halb auf Jens Arm. Das linke Bein hatte ich unter meinen rechten Arm geklemmt. Die Beine schließen konnte ich nicht mehr, weil wohl das Köpfchen „im Weg“ war. Für mich war diese Position auch auf längere Sicht gut zu ertragen. Für Jens nicht so ganz, aber er hielt wacker durch. Er hielt mich die ganze Zeit fest im Arm, ich brauchte diesen Druck. Er passte auf, dass ich nicht in den Kopf presse, versorgte mich mit Wasser und Dextroenergen. Ich presste und presste und irgendwann merkte zuerst die Hebamme, dass nur noch ich presste, die Presswehen aber wieder zurückgegangen waren und der Saum sich weiter schloss. Wehen kamen nun fast ohne Pause und wir hatten die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich der Saum wieder zurückzog und es wieder vorwärts ging. Die Herztöne des Baby´s waren weiterhin einwandfrei, so dass ich unter ihrer Anleitung weiterpressen konnte. Es war unheimlich anstrengend und ich merkte jetzt, dass mir einfach Nahrung fehlte. Ich durfte ja allenfalls Traubenzucker und Wasser zu mir nehmen – eindeutig zu wenig angesichts des Marathon´s, den ich schon hinter mir hatte.
Doch mit eisernem Willen und guter Unterstützung schafft man so manches. Doch es ging einfach nicht weiter.
Diese nun folgende Zeit habe ich in wirklich unangenehmer Erinnerung. Ich fühlte mich alt, schwach und krank. Nicht einmal auf Toilette schaffte ich aus eigener Kraft – die Beine versagten – ich hing halbtot in Jens´ und Rosi´s Armen. Weil die Blase Gegendruck ausübte, musste sie aber mehrmals entleert werden und Rosi wollte nicht gleich einen Blasenkatheder legen. Also Schieber. Oh´ Gott ich hasse es. Wie schwerkrank. Die rosigen Bilder von glücklichen Jungmüttern bei einer glücklichen Geburt in einem schönen, entspannten Umfeld vor Augen und die Worte der Hebamme im Geburtsvorbereitungskurs „die Männer gehören an das Kopfende“ in den Ohren, empfand ich diese Szene als sehr erniedrigend. Darauf, dass es vielleicht blutig, schmierig und laut werden würde, waren Jens und ich vorbereitet. Aber das sprengte unsere Vorstellung. Bei aller Liebe und dem größten Vertrauen in Jens, der mir so toll half – dies wollte ich ihm gewiss nicht vorführen. Doch mir fehlte die Kraft, auch nur halbwegs Haltung zu bewahren.
Es muss etwa gegen 18:30 Uhr gewesen sein, als ich während einer Wehe plötzlich die Beine unseres Baby´s wieder an meinen Rippen spürte. Ich war so sehr mit Pressen beschäftigt, dass ich dies zunächst nicht registriert hatte. Doch dann war es deutlich zu spüren und auch zu sehen. Etwa zur gleichen Zeit wurde gerade der Sauerstoffgehalt des Blutes unseres Pünktchens gemessen und Frau Dr. Spindler, die netteste Ärztin die ich jemals kennengelernt hatte, untersuchte mich ein weiteres mal gemeinsam mit der Hebamme. Mein Blutdruck war weiter gestiegen, dem Kind ging es zum Glück sehr gut.
Immer hatten Rosi und Frau Dr. Spindler mir Mut gemacht und gut zugeredet. Doch diesmal schüttelten beide mit dem Kopf und sprachen erstmals das Wort „Kaiserschnitt“ aus.
Was soll ich sagen, ich hatte bestimmt keine wirkliche Kraft mehr, aber ich hätte weitergemacht. Doch das Strampeln des Baby´s an meine Rippen war für mich das Signal, dass es einfach keinen Sinn mehr macht. Ich hätte vorher wirklich alles dafür gegeben, einen Kaiserschnitt zu vermeiden und ehrlich gesagt hatte ich dies für mich auch nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Die Kaiserschnitt-Kapitel in meinen Büchern hatte ich nur quergelesen. Trotzdem - in diesem entscheidenden Moment war ich in bemerkenswerter Weise hellwach, konzentriert und verstandesmäßig überzeugt, dass es nun wirklich besser ist, das Kind operativ zu holen. Ich habe mir hinterher immer wieder den Kopf darüber zerbrochen, ob ich nicht einfach nur froh war, dass es nun bald vorbei ist – oder auch anders – froh war, dass es endlich weiterging. Wahrscheinlich spielten auch diese Überlegungen eine gewisse Rolle mit, als ich dem Kaiserschnitt zustimmte. Aber welche Alternative hätte ich denn gehabt? Aufstehen, anziehen und wir probieren´s in ´ner Woche noch mal?
Die Anästesistin Dr. Seidel und OA Dr. Eichner kamen hinzu und ich war unglaublich erleichtert, als sie mich fragten, ob ich Spinalanästesie haben möchte. Hatte ich richtig gehört? Na klar! Die OP-Vorbereitung ging schnell und diskret. Ich wurde hin und hergeschoben und gehoben. Jetzt merkte auch ich, dass ich zu zielgerichteter Bewegung überhaupt nicht mehr fähig war.
Als der Wehentropf ab war, ließen die Wehen schlagartig nach. Die Hebamme meinte, dass ich wohl zu keiner Zeit eigene Wehen gehabt hatte und deshalb der Wehentropf immer drangeblieben ist. Dass ich dieses Ding die ganze Zeit dran hatte, war mir gar nicht mehr bewusst.
Als ich aus dem Kreissaal geschoben wurde, begann ich heftig zu zittern. Dieses Zittern ließ erst später im Überwachungsraum wieder nach. Im Arm von Frau Dr. Spindler veratmete ich die restlichen Wehen, während mir die Spinalanästesie gesetzt wurde. Hinterher entschuldigte sich Frau Dr. Seidel, dass dies so lange gedauert habe, weil sich meine Wirbelkörper nicht öffneten – ich habe davon absolut nichts mitbekommen. Ich war kolossal erleichtert, als Jens – in grüner OP-Kluft – an meinem Kopf auftauchte und in seiner lieben, beruhigenden Art meinen Kopf hielt und mich streichelte. Dr. Eichner fragte mich, ob ich etwas spüre – nicht das geringste. Und kurz darauf wurde die OP-Lampe gedimmt. Noch ehe ich dies registrierte ein leises Glucksen, ein kurzer Schrei und unser Jannis war um 20:15 Uhr auf der Welt. Seinen Anblick werde ich nie vergessen. Leider sah ich ihn zunächst nur von hinten und der Seite. Er hatte die Beinchen angezogen, war groß, rosig, mit Blut und Käseschmiere bedeckt. Mir liefen die Tränen über das Gesicht. Die Kinderschwester brachte ihn in den Nebenraum, Jens wurde hinzugerufen. Er wurde zunächst nur abgesaugt, abgerieben und warm eingepackt. Irgendwie zwischendurch gab´s auch den Agpar-Test. Dreimal 10 wurde in den OP-Saal gerufen und Dr. Eichner und ich strahlten um die Wette. Ganz kurze Zeit später wurde mein kleiner Sohn ganz nahe an mein Gesicht gehalten. Er war ganz wach und strahlte mich mit seinen großen Augen an. Leider konnte ich diesen Anblick nur kurz genießen. Denn die OP musste weitergehen. Jannis wurde nun von Jens und der Kinderschwester in den Kreissaal zum Vermessen und Anziehen gebracht. Ich wurde geklammert und kam in den Überwachungsraum.
Es dauerte wirklich nicht lange, aber mir kam es vor wie eine Ewigkeit, als endlich mein Jannis gebracht wurde. Seine Augen, voller Ruhe und Vertrauen. Er wurde ja oft beschrieben, der intensive Blick. Doch wirklich zu beschreiben ist er eigentlich nicht. Schwester Carola, die Kinderschwester, half mir, Jannis anzulegen und er begann heftig zu saugen.
Seine Größe erstaunte mich nicht: 56 cm, 4040 g, 37 cm Kopfumfang, Stirn-Hinterkopf-Durchmesser 12,5 cm. Er hatte nicht ins Becken gepasst.
Gegen 22:00 Uhr wurde ich auf die Station in mein Zimmer verlegt. In der Zwischenzeit hatte Jens meine und seine Eltern angerufen. Alle Anstrengung war vergessen. Ich fühlte mich wach und klar. Jannis lag neben mir in seinem Bettchen und Jens war da. Gegen halb elf kamen meine Eltern aufgeregt, überglücklich mit Freudentränen im Gesicht in mein Zimmer. Jetzt merkte ich, wie sehr sie auf ein Enkelchen gewartet haben.
Die Zeit danach:
Die Betäubung des Bauches und der Beine ließen nach. Zuerst merkte ich mein Knie! Das lose Kreuzband war eingeklemmt. Dann kamen Wundschmerz und Muselkater, wie noch nie. In der Nacht kämpfte ich mit der Schmerzpumpe. Jannis schlief im Kinderzimmer. Ein weiterer Nachteil des Kaiserschnitt´s – ich konnte mich nicht gleich um ihn kümmern! Erst morgens wurde er kurz wach und mir zum Stillen und Kuscheln gebracht. Diese Momente waren unglaublich schön. Doch ich kam mir in meiner Bewegungsunfähigkeit vor wie eine Muttersau bei der die kleinen Ferkel andocken.
Wer es bis jetzt noch nicht weiß: Kaiserschnitt ist eine große Bauchoperation mit drei Bauchschnitten, Klammern, Wundschmerz, nahezu Bewegungsunfähigkeit, deregulierter Verdauung, Blasenkatheder. Wer tut sich so etwas bloß freiwillig an? Das soll weniger schmerzhaft als eine normale Geburt sein? Im Leben nicht! Geburtsschmerzen sind wenigstens voller Hoffnung, aber Wundschmerz?
Noch 2 Tage bekam ich jede Menge Elektrolyte per Tropfinfusion. Da ich ziemlich schlechte Venen habe, musste immer wieder ein neuer Zugang gelegt werden, so dass ich auch noch total zerstochen war. Am Donnerstagabend durfte ich dass erste mal aufstehen. Es war eine ziemliche Tortour, die ersten Schritte auf Toilette und dort auch noch unter Überwachung. Duschen? Bis Sonntag Fehlanzeige; Haare habe ich Samstag über dem Waschbecken gewaschen – es war nicht mehr auszuhalten. Zu Essen? 2 Tage gar nichts, dann 2 Tage Suppe, früh, mittags und abends! Am Samstag Abführtag mit Tropfen. So was gönne ich meinem ärgsten Feind nicht!
Jens kam jeden Tag mindestens zweimal. Auch ihn hatte die Geburt ziemlich mitgenommen. Er war fix und fertig aber unheimlich glücklich und stolz. Am Tag nach Jannis´ Geburt bekam ich von Jens eine wunderschöne Kette geschenkt. Wir schenken uns eigentlich nie etwas und Jens ist in dieser Hinsicht – sagen wir mal – eher zurückhaltend. Umso mehr freue ich mich über das Geschenk.
Auch meine Eltern besuchten mich fast täglich – alle anderen Besuche wurden abgeblockt. Auch Anrufe hielt ich mir vom Halse. Wir hatten vorher schon verabredet, dass niemand meine Telefonnummer bekommt.
Vom Leben draußen bekam ich nicht allzuviel mit. Zum Glück, denn daheim war die letzte heiße Bauphase und der Umzug zu gange. Unser ganzer Zeitplan war wegen der späten Geburt und des Kaiserschnitts durcheinander geraten. Ich „wurde“ nun umgezogen und bekam unsere alte Wohnung gar nicht mehr zu sehen. Unser neues Haus sollte fertig sein, wenn Jannis und ich aus dem Krankenhaus kommen.
Problematischer als vermutet – das Stillen.
Nicht, dass ich ein Problem damit gehabt hätte. Ich war und bin fest davon überzeugt, dass ich Jannis mindestens 6 Monate stillen werde. Jannis saugte auch brav an meiner Brust. Er meldete sich, wenn er Hunger hatte und er wirkte satt und zufrieden.
Das Problem kam von außen. Die ersten Tage konnte ich Jannis nicht allein aus seinem Bettchen heben. Also musste ich die Kinderschwester rufen und bis auf 2 ganz liebe geriet ich an einige unsensible Exemplare. Sie legten das Kind vor meinen Bauch, rissen an meinem Busen, drückten mit einer Gewalt die Brustwarze zusammen und zwängten sie dem armen Jannis in den Mund. Weder er noch ich wussten, was uns geschah. Ich hatte noch nicht die richtige Stillhaltung gefunden und auch Jannis brauchte Zeit sich zu orientieren. Die von uns benötigte Schnupper-Zeit wurde uns nicht gelassen. An fehlender Zeit der Schwestern kann es kaum gelegen haben, denn sie standen die ganze Zeit dabei und überwachten, dass Jannis auch zügig trank. Was er – natürlich – nicht tat. Für mich kein Anlass zur Sorge, für die Schwestern gleich ein pathologischer Befund – Jannis trödelt beim Trinken. Er ist das Kind seines Vaters und eben ein Genießer. Und er ist das Kind seiner Mutter und manchmal etwas ungeduldig – insbesondere dann, wenn man Hunger hat und erstmal die Warze samt Vorhof fassen muss. Ich hatte meine liebe Mühe, mich der rabiaten Schwestern zu erwehren, die mir etwas von nicht länger als 10 min und wunden Brustwarzen erzählen wollten. Ich dagegen hatte Lanolin und viel Zeit.
Freitag abend dann die Krönung. Die Nachtschwester eröffnet mir, dass das Kind zugefüttert werden „MÜSSE“. Jannis habe abgenommen und wiege nun 3600 g, womit er kurz vor dem Hungertod stünde und ganz sicher Gelbsucht bekäme. Naja nicht wörtlich, aber mit eben diesem Unterton.
Ausgestattet mit dem Forum- und Stillbuch-Wissen verwahrte ich mich strikt gegen die Flasche. Ob sie es dennoch heimlich gemacht haben, vermag ich nicht zu sagen – ich vermute es jedenfalls. Jannis hatte schon am Freitagnachmittag Koliken bekommen und er war total verstopft. Das Kindspech war längst raus, dies konnte es nicht sein. Meine Abführtropfen hatten durchaus einen Anteil an seinen Schmerzen, aber so heftig? Eine Nacht lang Diskussion mit der Nacht-Kinderschwester und am nächsten Morgen mit der Chefkinderärztin – ein Drachen vor dem Herrn (für mich Anlass, gleich die Chefarztbehandlung wieder zu kündigen, damit er von den netten Stationsärzten weiter betreut werden kann.) Richtig, meine Milch war noch nicht eingeschossen. Das ist beim Kaiserschnitt nun mal nichts Neues. Aber 3600 g am 3. Tag und ein ruhiges ausgeglichenes Kind, wo ist denn da das Problem? Samstag morgen habe ich meine Eltern aus dem Bett geklingelt. Bei denen lag das Stillbuch. Mein Vater wurde in die Apotheke gejagt, Stillöl und Weleda-Milchbildungstee kaufen. Bärbel, meine Akupunktur-Hebamme hatte Nachtdienst. Sie kam mich zum Glück Samstag morgen besuchen und wurde gleich eingespannt. Akupunktur in die Brust zum Milcheinschuss. Nach Lektüre des Stillbuches ein Kompromiss: Weiterstillen mit Brusternährungsset. Jannis akzeptierte dies genau 3 mal, dann riss er jedesmal den Schlauch aus dem Mund. Er weiß eben was gut für ihn ist. Bis Sonntagmorgen hatte Jannis dermaßen Blähungen, dass er sich krümmte. Also: Brusternährungsset weg und Dauerstillen. Das Kind bleibt Tag und Nacht bei mir! Keine Widerrede, es ist mein Kind! Ich konnte mich zwar immer noch nicht richtig rühren und das Aufstehen, Heben, Wickeln fielen mir sehr schwer. Aber wir haben es geschafft. Sonntag Mittag nach weiterer Akupunktur am Morgen dann ein unheimlicher Druck in den Brüsten – die Milch war da! Ätsch! Und sie blieb.
Ganz ehrlich, auch wenn ich nach außen kämpferisch war, zwischendurch habe ich immer wieder geheult. Ich war drauf und dran, mein Kind und meine Sachen zu schnappen und nach Hause zu gehen. Ich hatte immer gedacht, es seien Märchen, wenn von entmutigenden Kommentaren von Schwestern berichtet wird, etwa derart: „Na das Kind wird ja gar nicht satt“ oder: „So ein großes Kind, so viel Milch können Sie gar nicht haben, wie der braucht“ oder nach Füttern mit Set: „Jetzt bist du das erste mal richtig satt geworden, du armer Kleiner“. Genau das bekam ich von einigen der Schwestern zu hören. Die Hormone taten ihr übriges. Ein Wunder, dass ich SO überhaupt Milch bildete.
Ich hatte aber auch Unterstützung. In erster Linie meine Hebamme Bärbel. Dann zwei ganz liebe Kinderschwestern, die mich bei meinem Dauerstillen unterstützten. Auch die Stationsschwestern waren voll und ganz auf meiner Seite und machten mir immer wieder Mut. Jens und meine Eltern standen voll hinter mir. Am meisten half das Stillbuch von Hannah Lothrop.
Jannis und ich haben nach der Geburt unseren zweiten großen Kampf bestanden. Am Entlassungstag – Tag 7 nach der Geburt – hatte Jannis wieder Geburtsgewicht, also mehr als 400 g zugelegt! Ich habe förmlich triumphiert!
Endlich nach Hause!
Am Mittwochmorgen wurden die Klammern entfernt. Am Abend hatte ich schon unsere Sachen gepackt und Jens und meine Mama holten uns bei wunderschönem Sonnenschein ab. Die erste Nacht im neuen Haus, es war zwar alles noch nicht richtig fertig. Aber in der Wohnung meiner Eltern hatte ich meine Ruhe und konnte mich um Jannis kümmern .
Nach und nach wird unsere Wohnung und das Haus fertig. Die Außenarbeiten sind noch nicht fertig aber es geht voran.
Jannis entwickelt sich prima. Er ist ein ruhiges, freundliches Kind. Es ist ein wirkliches Glück, ihn aufwachsen zu sehen. Natürlich stillen wir immer noch ...
Wenn ich es irgendwie technisch hinbekomme, gibt´s natürlich noch ein Bild von unserem Schatz.
Kommentare
59,500
Ich wünsche dir und deinem Mann alles Liebe und Gute zur Geburt eueres Zwerges. Die erste Kennenlernzeit habt ihr ja schon hinter euch und euch ja wohl auch intensivst beschnuppert.
Du wurdest übrigens schon vermisst. Schau mal in die Plauderecke. ;-)
Wenn du mir ein paar Bilder mailst, lade ich sie hoch und stelle sie ein. ;-)
:byebye01:
Gisela
38,644
3,882
1,868
Ich habe Euren Geburtsbericht mit sehr viel Interesse, Tränen in den Augen und einer großen Portion Bewunderung gelesen! Schön, dass das mit dem Stillen trotz der ganzen Schwierigkeiten, die Euch gemacht wurden, klappt!
Genießt Euren Zwerg wie wir den unseren!!!
4,118
Hut ab, da hat der Jannis aber eine richtig starke Mama! :cool: Ich weiß nicht, ob ich das durchgehalten hätte, bei so viel Gegenwind!
Schöner Name übrigens! ;-)
2,833
Ich wünsche euch daß ihr alles weiterhin so gut hinbekommt.
Manchmal muß man ganz arg viel durchmachen damit hinterher alles gut wird.
3,093
292
Ich bin mir nicht sicher, ob ich das im Krankenhaus so ausgehalten hätte... Hut ab
:laola01:
25,096
Ende Gut alles Gut sagt man wohl ;-) .
herzlichen Glückwunsch zu eurem Kleinen und ich finde es toll wie ihr durchgehalten habt.
6,272
59,500
Hatte ja auch einen Kaiserschnitt, nach 10 übertragenen Tagen und 2 Tagen Wehen. Ich kann also ahnen, wie es Dir ging.
Schön, dass Ihr jetzt wohlauf seit!
389
Ach´ übrigens. Jannis ist der griechische Name für Johannes. Mein Mann heißt Jens und dies ist die friesisch/dänische Form davon. Letztes Jahr waren wir auf Kreta im Urlaub und haben fleißig an unserem Junior gebastelt. Wir haben zwar nicht das Kind, dafür den Namen von dort mitgebracht. Aaron heißt auf hebräisch "der Erleuchtete"; der Aaronstab ist aber auch eine wunderschöne Pflanze, die auf Kreta ein besonders schöne Farbe hat.
3,579
Aber am Ende ist doch alles gut gegangen .
Herzlichen Glückwunsch zu eurem Zwerg :fantasy05:
809
Alles Gute dir und deiner Familie, und laß dich BLOß nicht unterkriegen.
lg, Ina
PS: ach ja, ich stille auch noch *grins*
1,316
2,943
:schlafen03:
PUUUH, da wurdest Du ja auf eine harte Probe gestellt... Hast Dich auf alle Fälle tapfer geschlagen. :applause:
:fantasy01: Alles Liebe Euch dreien...
59,500
Herzlichen Glückwunsch :bounce01: