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b]Wir haben einfach zu viel von allem - zu viel Fett, zu viel Zucker, zu viel Eiweiß, zu viel Kohlenhydrate - zu viel von industriell bearbeiteten Lebensmitteln. Aber eigentlich haben wir auch genügend von den gesunden, frischen Lebensmitteln. Wir können alles kaufen, was das Herz begehrt.[/b]
Von Andrea Wengel (SWR)
Stand: 24.06.2008
Eigentlich müsste sich der Verbraucher, wenn er sich im Nahrungsmittel-Überangebot zurechtfinden will, nur an die allgemeinen Ernährungsempfehlungen halten. Doch wenn das so einfach wäre! Denn was ganz allgemein empfohlen wird, kann dem Einzelnen unter Umständen ziemliche Probleme bereiten.
Gängige Empfehlungen
So war es auch bei Sandra Schneider. Die 29-Jährige ist angehende Ernährungsberaterin und mit den allgemeinen Empfehlungen bestens vertraut: "Die wichtigsten Empfehlungen, die wir lernen, sind zum Beispiel: Fünf Mal am Tag Obst oder Gemüse. Wenig Fleisch, also ungefähr zwei Mal in der Woche. Ein Mal in der Woche Fisch, wenig Fett. Milchprodukte sind wichtig und Vollwertkost ist zu empfehlen."
Kann gesunde Ernährung krank machen?
Frau mit Bauchschmerzen
Die junge Frau hat schon immer auf gute Ernährung geachtet, doch durch ihre Ausbildung zur Ernährungsberaterin beherzigte sie die allgemeinen Empfehlungen noch genauer. Ihre Essgewohnheiten zeigten dann auch Wirkung - allerdings anders als erwartet: "Dadurch, dass ich die Ernährungsregeln so lange und auch sehr, sehr genau eingehalten habe, habe ich in den letzten zwei Jahren acht Kilo abgenommen. Es hat bei mir genau den gegenteiligen Effekt gehabt: Ich wurde nicht gesünder und wollte auch nicht abnehmen. Ich wurde eigentlich krank. Ich habe mich nicht gut gefühlt, hatte Bauchschmerzen, Bauchweh. Es ging sogar bis zu Stimmungsschwankungen und Launenhaftigkeit."
Gute Theorie, schwierige Praxis
Täglich Obst und Gemüse - "5-a-day" heißt eine Ernährungsempfehlung, und das bedeutet, fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag: drei Portionen oder 375 Gramm Gemüse und zwei Portionen oder 250 bis 300 Gramm Obst, am besten frisch. Für wen diese Empfehlung problematisch sein kann, erklärt der Ernährungsmediziner Professor Maximilian Ledochowski: "Mit der Aktion "5-a-day" wird den Menschen empfohlen, möglichst viel Obst und Gemüse zu sich zu nehmen - was im Prinzip ja nicht falsch ist.
Es wird aber vergessen, dass ein Drittel der Bevölkerung große Fruchtzuckermengen nicht verträgt. Und dieser Teil der Bevölkerung kann sogar Schaden nehmen, wenn solche Empfehlungen generell ausgegeben werden. Die werden dann durch die hohen Fruchtzuckermengen überfordert und bekommen Symptome wie Bauchweh, Blähungen oder Durchfall."
Unter einer Fruchtzuckerunverträglichkeit leidet auch Sandra Schneider. Etwas mehr Gemüse wäre dann ohne Frage gut, ist es doch gesund und gut verträglich. Allerdings: Blähende Gemüse wie Kohl und Hülsenfrüchte enthalten ebenfalls eine bestimmte Form des Fruchtzuckers. Wer bereits größere Mengen Säfte und Obst zu sich nimmt und mit Fruchtzucker Probleme hat, dem können einige dieser Gemüsesorten ungewöhnlich schwer zu schaffen machen. Die Ursachen werden erst jetzt durch neuere Forschung bekannt.
Auch wird empfohlen, die Hälfte des Gemüses roh zu essen. Dabei ist bekannt, dass Rohkost schwer bekömmlich ist und gerade bei empfindlichen Menschen in größeren Mengen schnell zu Verdauungsbeschwerden führen kann. Auch wenn es roh schmeckt - Sandra Schneider verträgt Gemüse nur gekocht.
Diagnose: Unverträglichkeit
Rund 1.000 Milligramm ist die empfohlene Tagesdosis für Kalzium. Als wichtigste Kalziumquellen gelten Milch und Milchprodukte. Wollte man die Tagesdosis Kalzium mit Milch decken, wären ein bis anderthalb Liter Milch nötig. Für rund ein Fünftel der Deutschen ist das kein guter Rat, denn so viele sind laktoseintolerant, das heißt, sie können den Milchzucker nicht verwerten und bekommen meist schlimme Durchfälle. Als verträglichere Alternative bieten sich Joghurts an. Wer Käse mag, könnte je nach Sorte mit 100 bis 300 Gramm die Tagesdosis Kalzium zu sich nehmen. Aber das passt nun wieder nicht zu der Empfehlung, sich fettarm zu ernähren.
Fett und Ballaststoffe auf dem Prüfstand
Zitat
Die Gruppe der Patienten, die Ballaststoffe nicht gut vertragen, ereilt oft das Schicksal, dass sie zum Arzt gehen, endoskopisch untersucht werden, die Diagnose eines Reizdarmsyndroms bekommen und mit den Empfehlungen nach Hause gehen, sich gesund zu ernähren. Befolgen sie dann diese Empfehlungen, nehmen sie noch mehr Ballaststoffe zu sich und geraten in einen Teufelskreis hinein, aus dem sie kaum selbständig herauskommen können."
Prof. Maximilian Ledochowski, Ernährungsmediziner
Der Verzicht auf Fett war lange Jahre das Kernstück einer gesunden Ernährung, galt es doch vor allem als Dickmacher. Aber Fett ist nicht gleich Fett. Ungesättigte Fettsäuren aus Fisch und pflanzlichen Ölen sollen sogar vor Gefäßkrankheiten schützen. Außerdem: Fett verlängert die Verweildauer der Nahrung im Dünndarm. Das hat auch einen positiven Effekt: Die Nährstoffe können besser aufgeschlüsselt und dem Körper zugänglich gemacht werden.
30 bis 40 Gramm Ballaststoffe am Tag sollen uns vor allem vor Darmkrebs schützen. Doch konnten aktuelle Studien diesen positiven Effekt nicht bestätigen. Zudem: Ballaststoffe sind keineswegs nur Ballast, der den Körper unverändert wieder verlässt. Sie werden im Dickdarm vergoren. Auch hier gilt: Zu viel des Guten verkraftet auf Dauer nicht jeder Darm. Für die Betroffenen beginnt damit oft ein langer Leidensweg.
Individuelle Ernährungsregeln
Auch Sandra Schneider bekam den ärztlichen Rat, ihre Ernährung umzustellen. Vollwertkost ist derzeit von ihrem Speiseplan gestrichen. Erlaubt sind stattdessen mehr Fleisch, Wurst und Käse. Mit dieser Erfahrung in Sachen Ernährung anderen etwas zu raten, wird für sie schwer sein: "Also im Moment traue ich es mir nicht zu, aber auch ganz einfach deshalb, weil ich selber noch nicht weiß, was ich essen soll. Ich habe die Ausbildung jetzt schon ein Jahr gemacht und muss jetzt aber wieder alles anders machen. Ich muss mich komplett anders ernähren, fühle mich dadurch aber besser. Deswegen muss ich selbst erst einen Weg finden, wie ich mich ernähre, dass es halbwegs gesund ist und auf der anderen Seite mir auch gut tut."
Prof. Maximilian Ledochowski bringt es auf den Punkt: "Die gesunde Ernährung gibt es nicht. Die kann immer nur individuell abgestimmt sein. Jeder muss für sich herausfinden, was ihm gut tut. Wenn man jetzt fragt: 'Welche Hinweise habe ich dafür? Das sind etwa Müdigkeit nach dem Essen, Bauchschmerzen, Blähungen, Stuhlunregelmäßigkeiten. Das sind ziemlich verlässliche Symptome, die einem zeigen, ob man sich gesund ernährt oder nicht."
Gesprächspartner
Dr. Maximilian Ledochowski
Facharzt für Innere Medizin, Ernährungsmedizin
Anichstrasse 17
A-6020 Innsbruck
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