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Späte Mutterschaft gilt als riskant, späte Vaterschaft allenfalls als kauzig. Schuld daran ist die Ansicht, dass Eizellen altern, Spermien aber nicht. Anders als die Keimzellen des Mannes werden Eizellen nicht ständig neu produziert, sondern reifen aus einem Vorrat heran, der bereits bei der Geburt in den Eierstöcken angelegt ist. Unaufhaltsame Alterung bei der Frau also, ewige Verjüngung beim Mann?
Neue Studien zeichnen ein anderes Bild. In der jüngsten (...) wiesen amerikanische Forscher einen Zusammenhang zwischen der Intelligenz von Kindern und dem Alter des Vaters nach. Der Effekt ist nicht groß, aber unbestreitbar: Der Nachwuchs eines 50-jährigen Mannes schafft im Intelligenztest durchschnittlich sechs IQ-Punkte weniger als der eines 20-Jährigen. Schwedische Forscher zeigten im September, dass Kinder von Männern über 55 ein deutlich erhöhtes Risiko haben, später an manisch-depressiven Störungen zu erkranken. Israelische Wissenschaftler haben fest-gestellt, dass das väterliche Alter ein wichtiger Risikofaktor für Autismus und damit verbundene Erkrankungen ist. Und eine weitere Studie ergab, dass Schizophrene im Mittel ältere Väter haben als ihre gesunden Altersgenossen.
Der Arzt Wilhelm Weinberg wies schon 1912 nach, dass die Skelettbildungsstörung Achondroplasie häufiger die zuletzt geborenen Kinder einer Familie betrifft als die Erstgeborenen. Seine Vermutung, dass das väterliche Alter damit zusammenhängt, wurde inzwischen bestätigt. Offenbar kann der Vater-Faktor sogar über mehrere Generationen wirken: Ob ein Sohn die Blutgerinnungsstörung Hämophilie A von seiner Mutter erbt, hängt vom Alter ihres Vaters ab.
Für 20 Erbkrankheiten wurde bis heute eine Verbindung gefunden. Während körperliche Behinderungen sehr selten auftreten, sind die psychischen Störungen ähnlich häufig wie die Fälle von Downsyndrom bei Kindern älterer Mütter. Zwischen dem 25. und dem 40. Lebensjahr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau ein Kind mit Downsyndrom zur Welt bringt, von 1:1000 auf 1:100. Das Risiko eines Mannes, ein autistisches Kind zu bekommen, wächst laut der israelischen Studie bis zum 50. Lebensjahr von 6:10000 auf 5:1000. Von den Kindern der Väter über 50 erkrankt im Durchschnitt also eines von 200 an Autismus.
Panik verbreiten will der Würzburger Medizingenetiker Tiemo Grimm angesichts dieser Zahlen nicht. »Autismus und Schizophrenie sind äußerst komplexe Erkrankungen«, sagt er. Anders als beim Downsyndrom ist nicht nur eine einzige genetische Störung dafür verantwortlich. Es sind mehrere Mutationen bekannt, die mit den psychischen Störungen zusammenhängen. Für sich genommen haben die einzelnen Gene jedoch keinen großen Einfluss auf das Risiko. Die Lebenssituation und Umweltfaktoren spielen eine große Rolle.
Das ist möglicherweise der Grund dafür, dass das Alter des Vaters in Beratungsgesprächen oft kein Thema ist. Dabei sind Männer, die sich für eine künstliche Befruchtung entscheiden, meist deutlich älter als der Durchschnitt. »Bei meinem Urologen habe ich mal nachgefragt: Ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste, wie siehts aus?«, erinnert sich Günter Haße. »Der sagte dann, dass meine Spermien in Ordnung seien und ich mir keine Gedanken machen solle.«
Noch ist nicht sicher, weshalb viele Krankheiten beim Nachwuchs älterer Väter häufiger auftreten. »Die meisten Genetiker gehen davon aus, dass die Spermien von alten Männern zu viele Zellteilungen hinter sich haben«, erklärt Karl Sperling, Leiter des Instituts für Humangenetik an der Berliner Charité. Im Hoden entstehen neue Keimzellen dadurch, dass sich eine ältere Spermienzelle teilt. Dafür muss jedes Mal das Erbgut im Zellkern verdoppelt werden – und dabei können Fehler passieren. Geht etwas schief, entsteht eine Mutation, die eine Krankheit auslösen oder dazu beitragen kann. Die Spermien eines 50-Jährigen haben im Schnitt 800 Teilungen hinter sich.
Da die Mutter die meisten Embryonen mit einer schweren Behinderung schon früh in der Schwangerschaft und oft unbemerkt verliert, lässt sich letztendlich nicht sagen, wie groß der Einfluss des väterlichen Alters tatsächlich ist. Sicher ist nur, dass er viel stärker ist, als die Fallzahlen bei Lebendgeborenen vermuten lassen.
Zweifelsfrei bleiben die Spermien des Mannes ebenso wenig von den Zeichen der Zeit verschont wie die Eizellen der Frau. Was aber bedeutet das für die Praxis? Für die meisten Krankheiten gibt es, anders als für das Downsyndrom, in der Schwangerschaft noch keine guten Diagnosemethoden. Wenn der Medizingenetiker Peter Miny am Universitätsspital Basel Eltern berät, spricht er die Risiken an, erklärt aber, dass sie im Einzelfall sehr gering sind. Dass er sie erwähnt, hat auch psychologische Gründe. Wenn das Alter der Mutter zur Sprache komme, sei die psychische Last oft ungerecht verteilt, sagt Miny. Es sei gut, den Männern klarzumachen, dass auch ihr Alter für die Gesundheit des Kindes nicht unerheblich sei.
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