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Zum Auftakt des Prozesses gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden hat der Angeklagte Jörg K. eine Erklärung verlesen lassen. Darin attestiert er sich selbst "großes menschliches Versagen". Er sei am Rande seiner Kraft und könne vor Gericht nicht aussagen.
Stuttgart - Jetzt ist eingetreten, was die Angehörigen der Menschen, die Tim K. am 11. März 2009 erschoss, befürchtet haben: Der wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz angeklagte Vater des Amokläufers will und wird sich im Prozess nicht persönlich äußern.
An diesem Donnerstag ließ Jörg K. vor dem Landgericht Stuttgart eine Erklärung verlesen. Darin lässt er die Hinterbliebenen der Opfer wissen, dass er ihren Wunsch verstehe, die Motive seines Sohnes für die Tat zu erfahren. Ihm gehe es nicht anders. Dass Tim ihm und seiner Frau nichts von seinen Problemen und seiner Verzweiflung erzählt habe und sie dies nicht erkannt hätten, sehe er als sein "großes menschliches Versagen" an. Beide Elternteile machten sich seither ständig Vorwürfe und fragten nach dem "Warum".
In seiner Erklärung schildert sich der Vater als gebrochener und suizidgefährdeter Mann, der psychologisch betreut werde. Er befinde sich psychisch und körperlich am Rande der Belastung und wolle deshalb in dem Verfahren keine weiteren Angaben machen.
Bereits gestraft genug?
Die Verteidiger hatten zuvor Straffreiheit für den Angeklagten gefordert, da er angesichts des Verlustes seines Sohnes und seiner persönlichen Situation bereits gestraft genug sei. Dies stieß auf den Widerspruch eines Teils der 41 Nebenkläger und ihrer 19 Vertreter. Sie wollen erreichen, dass der Vater nicht nur wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz, sondern auch wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verurteilt wird.
Die Staatsanwaltschaft erklärte, dass sie eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung erreichen wolle, auch wenn dieser Vorwurf in der formellen Anklage nicht aufgeführt ist. Der Grund dafür ist, dass die für die Zulassung der Anklage zunächst zuständige Jugendstrafkammer keinen hinreichenden Tatverdacht gesehen hatte. Sie argumentierte, die Tat hätte auch ohne Fehlverhalten des Angeklagten geschehen können, da sein Sohn die Ziffernkombination des Waffentresors kannte. Das Landgericht erklärte nun aber am ersten Prozesstag, sich gleichwohl eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung vorzubehalten. Dazu ist das Gericht berechtigt.
Nun muss die 18. Große Strafkammer in dem bis Januar terminierten Prozess unter anderem prüfen, ob Jörg K. von den Gewaltphantasien seines Sohnes wusste, die dieser einer Psychotherapeutin bereits 2008 gestanden hatte. In diesem Fall hätte der Vater die im Hause befindlichen Waffen besser sichern und den Code für den Tresor vorsorglich ändern müssen.
Gerichtsangaben zufolge sind mittlerweile 41 Nebenkläger mit 19 Vertretern zugelassen. An den 27 angesetzten Verhandlungstagen sollen etwa 40 Zeugen gehört werden. Neben mindestens zehn Polizeibeamten sowie Medizinern, die nach dem Amoklauf im Einsatz waren, werden auch direkt Betroffene sowie deren Angehörige gehört. Zudem sind zahlreiche Sachverständige geladen, darunter zwei Psychiater und drei Rechtsmediziner.
Verbot von Schusswaffen in Privathaushalten gefordert
Grünen-Chef Cem Özdemir erklärte am Donnerstag, die Waffengesetze seien in Deutschland nicht ausreichend verschärft worden: "Auch nach Winnenden wurde trotz vieler Bekundungen aus allen Parteien das Notwendige nicht getan", sagte Özdemir der "Frankfurter Rundschau". Nötig sei vor allem ein Verbot von Schusswaffen in Privathaushalten.
Die Bundesregierung hatte nach dem Amoklauf von Winnenden im März 2009 zum dritten Mal innerhalb von sechs Jahren das Waffenrecht geändert. Zu den Neuregelungen zählte die Gewährung einer Amnestie für Besitzer illegaler Waffen, die sich bis Ende 2009 freiwillig bei den Behörden melden konnten. Tatsächlich wurden bis Ablauf der Frist mehr als 200.000 Schusswaffen abgeliefert. Seit Januar 2010 müssen Personen, die verbotenerweise im Besitz von Waffen sind, wieder mit Geld- oder Haftstrafen rechnen.
Derzeit sind Schätzungen zufolge zwischen 10 und 20 Millionen Waffen in Deutschland im Umlauf. Genaue Zahlen gibt es nicht, da eine Statistik fehlt. Am Aufbau eines bundesweiten Waffenregisters wird allerdings gearbeitet. Die Informationen der rund 570 Waffenerlaubnisbehörden in Deutschland sollen bis Ende 2012 zentral gespeichert werden.
Özdemir sagte, aus den bekannten Fällen wisse man um den Zusammenhang zwischen legalen Waffen und Gewalttaten. "Aus Angst vor der Waffenlobby" traue sich die schwarz-gelbe Koalition aber nicht, das Thema anzurühren. Die vorgeschriebenen Kontrollen fänden kaum statt, obwohl es bei Stichproben in einem Drittel bis zur Hälfte der Fälle Beanstandungen gebe. Zudem sei es nach wie vor zu leicht, an einen Waffenschein und an Schusswaffen zu gelangen, sagte Özdemir. Auch sei die Altersgrenze für das Sportschießen zu niedrig. Er forderte zudem, dass die Schützenvereine pädagogische Betreuung für Jugendliche anbieten.
Auch der CDU-Innenexperte Reinhard Grindel forderte am Donnerstag eine Intensivierung der Waffenkontrollen. Allerdings sei dies auch von der personellen Besetzung der Ordnungsbehörden in den einzelnen Bundesländern abhängig, sagte er im RBB-Inforadio. Diese Gesetzeslage habe bereits in der Prävention eine ganze Menge bewirkt, meinte der CDU-Politiker. Als Beispiel nannte Grindel die Tatsache, dass sich viele Schützen inzwischen abschließbare Schränke zur Aufbewahrung von Waffen besorgt hätten.
ala/apn/dpa
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Kommentare
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Klar, der Vater hätte sicherlich seine Waffen besser sichern sollen ... aber wem nutzt es, wenn er jetzt verurteilt wird?? Er hat sein Kind verloren, die ganzen Opfer sind tot ... mir tun alle Angehörigen unheimlich leid!!! Ich denke nicht, dass eine Verurteilung den Eltern des Opfers helfen kann, über den Verlust hinweg zu kommen ... und die Eltern von Tim werden sich so oder so schuldig fühlen!!
Dieses ganze Gerede von Waffengesetzen etc. ist ja schön und gut, aber die Waffen sind nicht das Hauptproblem!! ... wer jemanden töten möchte, kommt auch an eine Waffe dran - und wenn's ein Küchenmesser ist!
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Das denk ich auch!
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Moralisch hat die Familie alles verloren. Existenz, Lebenswerk und Identität. Sogar die Schwester lebt unter einem anderen Namen teilweise im Ausland.
Was in der Zwischenzeit mit ihnen passiert ist, und warum das nötig war weiß ich nicht. Das habe ich nicht mitbekommen.
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Und die juristische Angelegenheit, das ist ja nochmal was ganz anderes. Dass jetzt die Waffengesetzte geprüft werden sollen, ist ja schön und gut und dass sie ihn juristisch belangen, versteh ich auch. Hat er denn eigentlich gegen das Gesetz verstoßen mit der Aufbewahrung seiner Waffen?
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Das ist schon richtig ... ich bin auch nicht dafür, Waffen für den allgemeinen Gebrauch freizugeben ;-) ... aber die Diskussion ums Waffengesetz ist meiner Meinung nach einfach zweitrangig - viel wichtiger finde ich, der Frage nachzugehen, wie es überhaupt so weit kommen kann, dass ein jugendlicher ernsthaft in Erwägung zieht, so eine Tat zu begehen, bzw. was man tun kann, um so etwas zu verhindern. Lösungen habe ich auch keine parat aber indem man die Verschärfung des Waffengesetzes in den Mittelpunkt stellt, wendet man sich dem - meiner Meinung nach - weitaus wichtigeren Thema ein Stück weit ab!
Abgesehen davon halte ich es für relativ einfach für einen Jugendlichen, in dessen Haushalt Waffen vorhanden sind (auch, wenn sie ordnungsgemäß weggeschlossen sind), an eine Waffe ranzukommen - wenn meine Eltern Sportschützen wären, hätte ich sicher auch bei der ein oder anderen Gelegenheit den Code zum Waffenschrank mitgekriegt.
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Andererseits dneke ich das in einer Schützenfamilie Waffen zum Alltag gehören. Ich denke einfach die sind in solchen Haushalt normal. Man weis um die Gefährlichkeit und auch die Familie weis das. Sie werden (so denkt man) sicher aufbewahrt. Aber glaubt jemand das sein Kind damit jemanden töten würde? Ich würde das Versteck oder den Waffenschrank eher als Erschwernis für einen Dieb oder so halten.
Also ich habe sehr viel Mitgefühl mit der Familie des Täters. Die werden ihres Lebens nicht mehr froh :sad:
Ich weis nicht wie die Eltern das überhaupt aushalten können,
Nein ich vergesse dabei die Opfer nicht und ich verstehe völlig das die Angehörigen auf eine Erklärung warten. Aber niemand steckt in der Haut seines Kindes und ist für mich nicht immer gleich ein Mittäter
Privatmeinung von mir
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nämlich eine kleine Anmerkung.
An Caros Posting mekt man, dass sie erwachsenen Kinder hat. Letzten Monat hatte ich mit meiner Schwester auch dieses Thema. Mein Neffe ist 15, und der elterliche Einluss schwindet schon lange minütlich sagt sie.
Und ganz genau: wer denkt so etwas schon von seinen eigenen Kindern. :erstaunt: ??? Das machen immer nur die ungeratenen Sprösslinge anderer Leute.
Habt Ihr das auch gehört?
http://www.derwesten.de/nachrichten/pan ... 35474.html
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Ich glaube, daß kann man auch einfach nicht erklären. Wahrscheinlich ist das ähnlich wie bei einem Suizid - das werden Kurzschlussreaktionen sein die derjenige in dem Moment begeht. Bei einem Amoklauf isses mit dem ersten Schuss für den Täter "eh egal" ...
Kann man sowas planen? Schüler die jahrelang gemobbt werden sind vielleicht potentiell gefährdet, aber muss da nicht noch mehr dazu gehören als "nur" Mobbing? Muss da nicht auch wirklich die Unfähigkeit der Eltern dazu gezählt werden, die es nicht geschafft haben, ihr Kind zu schützen/von der Schule zu nehmen/es zu stärken? Sowas MUSS man bemerken.
Und klar - Kinder in der Pubertät entgleiten einem schon irgendwie ... aber wenn man in den Jahren zuvor gute Arbeit geleistet hat, an Selbst- und gegenseitigem Vertrauen gearbeitet hat, dann entgleiten sie nur in die Selbstständigkeit und bleiben trotzdem dein Kind.
Gut, ich habe keine erwachsenen Kinder. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung und Jugend aber ist so mein Plan. :oops: Meiner Meinung nach driftet das Kind weder in sowas noch in falsche Freundeskreise noch in Alkoholexzesse o.ä. ab, wenn es genügend Rückhalt von zuhause (Eltern UND Verwandschaft) sowie den nötigen Respekt hat.
Plant man einen Amoklauf und bringt Exmann und Kind um?? :shock: Da frage ich mich auch, was DA passieren muss, um das zu tun. Kurzschluss? Planung? Was muss passieren, damit ich mein eigenes Kind erschieße?
Absoluter Wahnsinn.... :shock: :shock: :shock:
Ob der Vater von Tim jetzt verurteilt werden sollte oder nicht - schwierige Frage. Irgendwie schon, irgendwie nicht. Denn daß er seinen Sohn verloren hat, ja, das ist tragisch, das haben aber andere Eltern an diesem Tag auch. Klar, hat er alles verloren, Existenz, Lebenswert etc. Aber andere Eltern auch. Von daher finde ich schon, daß er eine Strafe bekommen sollte.
Allerdings ist er natürlich schon gestraft genug - keine Ahnung. Ich kann mir da kein Urteil erlauben.
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http://www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1 ... index.html