Know How statt Messer – Ein Mutmachbericht über die Geburt von Julian
Vorsicht, lang! Ich habe die Kunst, mich kurz zu fassen, nie gelernt.
Prolog
Erinnert ihr euch noch hieran?
http://www.hebamme4u.net/forum/post378803.html?hilit=adrian#p378803, also ich erinnere mich noch sehr gut daran, so gut, dass ich mir dieses Mal schon sehr früh in der Schwangerschaft überlegt habe, dass beim zweiten Kind so einiges anders laufen musste.
Wie traumatisiert ich noch von der ersten Entbindung war, merkte ich erst Jahre später beim Besuch des Tages der offenen Tür im Geburtshaus in Unna, als ich beim Anblick der Gebärwanne und der Entbindungsräume eine waschechte Panikattacke erlitt: Mit zitternden Händen, unkontrollierbaren Tränen, Schnappatmung, Schweißausbrüchen und Herzrasen saß ich erst einige Zeit auf der Toilette und verließ dann fluchtartig das Gebäude.
Dass ich in den gleichen Räumen, nur ein Jahr später meinen zweiten Sohn auf die Welt bringen würde, hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können.
Mir war aber sofort klar, dass ich wenigstens versuchen musste, dieses Mal alles in meiner Macht stehende zu tun, damit sich solch ein Drama nicht wiederholt: Ich wollte eine spontane Entbindung erleben und ich würde nie wieder freiwillig einen Fuß in ein Krankenhaus setzen.
Dann wurde ich wieder schwanger und – nun ja – was reingekommen ist, muss halt irgendwann auch wieder raus. Ich musste mich dem Problem also stellen.
Es fing alles damit an, dass ich mir erst einmal eine Hebamme suchte, bei der ich alle Vorsorgen machen würde. Mein Frauenarzt sah mich, als dann klar war, dass diese Schwangerschaft bleiben würde – nur noch zu den 3 vorgesehenen Ultraschallterminen.
Mit meiner Hebamme vom Geburtshaus führte ich bereits am Anfang der Schwangerschaft lange Gespräche über die erste Geburt, in denen mir langsam bewusst wurde, was eigentlich genau schief gelaufen war: Im Geburtshaus ist man der festen Überzeugung, dass jeder Eingriff in den natürliche Ablauf einer Geburt beinahe unweigerlich das empfindliche Gleichgewicht der stattfindenden Prozesse stört und somit Komplikationen und weitere Eingriffe nach sich zieht. Und genau so war es bei mir ja gewesen:
Anstatt mich durch meine Wehen zu begleiten und mich zu ermutigen, wurde im Krankenhaus sofort die PDA gelegt, weil das eben zur Klinikroutine gehört, die Wehen hörten auf, wurden künstlich angeregt, wurden zu stark, wurden wieder gedämpft und währenddessen drehte sich das Kind nicht richtig in den Geburtskanal und irgendwann versagte dann mein Kreislauf. Es kam zum Geburtsstillstand und dann wurde der Kaiserschnitt gemacht.
Damit war eigentlich klar, was zu tun war: Ich musste einen Weg finden, selber mit den Schmerzen fertig zu werden und vor allem meinem Körper wieder zu vertrauen. Ein hartes Stück Arbeit, da mein Selbstbewusstsein damals ganz schön gelitten hatte.
Die Antwort auf meine Probleme war ein Quigong-Kurs, den man in unserem Geburtshaus anstelle eines „klassischen“ Geburtsvorbereitungskurses machen konnte. In meinem Kurs waren nur Zweit- und Drittgebärende, von denen einige ähnlich krasse erste Geburten erlebt hatten, wie ich. Unter Anleitung einer ganz großartigen Hebamme sprachen wir viel über unsere Wünsche und Ängste, lernten besondere Atem- und Meditationstechniken, arbeiteten an unserer Einstellung zu Geburt und auch zu den Schmerzen und erlebten den natürlichen Ablauf einer Geburt in einer Phantasiereise (ein besonders bewegendes Erlebnis für mich). Ich nahm aus dem Kurs mit, dass man zwar bei einer Geburt Unvorhergesehenes akzeptieren muss, dass es aber auch erlaubt ist, zu wünschen und zu träumen.
Der zweite Teil meiner Geburtsvorbereitung bestand in etwas ganz anderem und pragmatischerem: Fitness! In der letzten Schwangerschaft hatte ich gut 90% des Tages auf dem Sofa verbracht und ich wurde während der zweiten Schwangerschaft das Gefühl nicht los, dass körperliche Fitness irgendwie helfen könnte. Also begann ich mit Schwimmen! Gegen Ende der Schwangerschaft war ich in jeder freien Minute im Wasser und schwamm stundenlang meine Bahnen. Das Ergebnis war verblüffend: Ich hatte trotz 125cm Bauchumfang ganz am Schluss kaum Probleme mit dem Treppensteigen, ich hatte keine Rückenschmerzen (!!) und ich fühlte mich wirklich gut.
Das war also meine Vorbereitung auf die Geburt. Und glaubt ja nicht, dass ich nicht zwischendurch mit dem Gedanken gespielt hätte, dass ein geplanter Kaiserschnitt mir einiges Leid ersparen könnte (Ich hätte mit „Zustand nach Sectio“ auf jeden Fall einen Arzt gefunden, der das gemacht hätte...), aber ich bin ein Dickkopf und wollte das durchziehen.
Samstag, der 29.09.2012
Da war ich also in Woche 40 angekommen. Da Adrian damals 5 Tage vor Termin geboren worden war, ging ich irgendwie davon aus, dass sich dieses Baby auch so um diesen Zeitpunkt herum auf den Weg machen würde. Keine Ahnung, wie ich darauf kam, aber tatsächlich: Bei 39+4 war es dann soweit!
Wehen hatte ich schon seit einigen Tagen. Sie kamen und gingen, wurden tendenziell schmerzhafter, blieben aber ineffektiv: Viel zu kurz und nicht rhythmisch genug. Sie gingen in der warmen Badewanne wieder weg und nachts konnte ich wunderbar schlafen, was einerseits nervig und andererseits auch wunderbar war.
Klar, wie jede Frau in der 40. Woche konnte ich es nicht mehr erwarten. Ich fühlte mich so fett und unförmig und wollte endlich das kleine Wesen kennenlernen, das das so quietschfidel in meinem Bauch herumturnte. Aber andererseits war es auch gut zu wissen, dass man ausgeruht in die Geburt gehen konnte und nicht nach einer durchwachten Nacht mit uneffektiven Wehen...
An diesem Morgen wurde ich allerdings so gegen 4.30Uhr von einer Wehe geweckt, die es ziemlich ernst meinte.
„Oha!“, war mein erster Gedanke, „Das geht schon mal in die richtige Richtung.“
Mit „Richtung“ meinte ich meinen Hintern, also die Stelle, in dem ich auch beim letzten Mal die echten Geburtswehen am intensivsten gespürt hatte.
Den Morgen verbrachte ich damit, meinen Haushalt ein bisschen auf Vordermann zu bringen, im Internet zu surfen, mit Durchfall auf dem Klo zu sitzen und mir noch schnell die Meditations-CD von meinem Quigong-Kurs auf den mp3-Player zu packen (weise Entscheidung, wie sich später herausstellte). Dann packte ich meine Tasche fürs Geburtshaus noch mal komplett neu und sortierte die Babyklamotten noch einmal vollständig um, lud mein Handy auf und packte die Kameratasche für die ersten Fotos, putzte das Bad und faltete Wäsche zusammen.
Merkwürdigerweise funktionierten mein Hirn und mein Körper irgendwie getrennt voneinander, da ich trotz all dieser Aktionen die ganze Zeit davon ausging, dass die Wehen irgendwann wieder verschwinden würden, wie sie das die letzten Tage auch immer getan hatten.
Nein, taten sie nicht.
Irgendwann bemerkte ich erstaunt, dass ich schon seit einer ganzen Weile dabei war, die Wehen, die wie immer in kurzen Abständen kamen, aber immer noch nicht lang genug waren, leise zu vertönen. Das war mir bei meiner ganzen Betriebsamkeit zuerst gar nicht aufgefallen.
Ich weckte Daniel. Der war noch am pennen, weil Adrian die Nacht ohnehin bei Oma und Opa verbracht hatte.
Und er bekam direkt eine Kostprobe.
„Oha!“, meinte er „Du summst ja schon!“
Wir frühstückten zusammen und gegen 9 rief ich meine Hebamme an, die sowieso auf einem Wochenbettbesuch in der Gegend war und versprach, vorbeizukommen und mal nach mir zu sehen.
Sie hatte mir schon bei unserem letzten Vorsorgetermin am Donnerstag gesagt, dass das Wochenende ihr terminlich sehr gelegen käme und ich hatte auch brav versprochen, dass ich es versuchen würde.
Als sie gegen 11.00Uhr kam, untersuchte sie meinen Muttermund ganz kurz und das ernüchternde Ergebnis war: fingerdurchlässig! Und das nach schon 6 Stunden Wehen! Manno! Ich hatte mir echt mehr erhofft, alldieweil die Wehen schon sehr schmerzhaft waren und ich bereits mit Quigong-Atemtechniken beginnen musste, um sie unverkrampft zu vertönen.
Kerstin riet uns, den Tag ganz locker anzugehen und so normal wie möglich zu gestalten. Ich würde noch Zeit brauchen. Sie würde darauf tippen, dass das Kind irgendwann in der nächsten Nacht zur Welt kommen würde.
Ich war zwar nicht glücklich darüber, hatte mir aber geschworen, diesmal keine Hektik aufkommen zu lassen und die Sache ruhig und so entspannt wie möglich anzugehen. Dazu gehört auch, Ratschläge der Hebamme umzusetzen.
Also wurde erst mal Pizza gebacken und während wir das Ergebnis unserer kulinarischen Bemühungen mit Appetit verdrückten, schauten wir uns eine DVD an. Den Rest des Nachmittags verbrachten wir mit Wäsche aufhängen und Daniel baute am Babybettchen (eigener Entwurf!) weiter, während ich auf einem Stuhl neben ihm saß und zwischendurch meine Runden über den Dachboden (wo seine Werkstatt zur Zeit ist) drehte. Die ganze Zeit hatte ich die Stöpsel vom mp3 – Player in den Ohren, hörte Meditationsmusik in Dauerschleife und machte Quigong-Atemübungen.
Es war eine sehr ruhige und trotz der Schmerzen entspannte Atmosphäre.
So gegen halb 5 nachmittags begann sich auf einmal etwas zu verändern. Die Wehen wurden seltener. Zuerst kamen sie noch in 3, dann in 5 und schließlich in fast 6-minütigen Abständen.
„Das kann jetzt ja wohl nicht wahr sein, oder?!“, dachte ich. „Die können ja jetzt wohl nicht so einfach verschwinden!!“
Aber nein! Die nächste Veränderung kam eine Viertelstunde später, denn auf einmal wurden sie kräftiger. Und wie!
Wir gingen wieder runter in die Wohnung und kaum waren wir unten angekommen, ging die Post ab! Mit einem Mal waren die Wehen wesentlich länger (Ich war bei weit über einer Minute angekommen) und kamen in zweiminütigen Abständen. Hallelujah, waren das Schmerzen!!! Mein Vertönen wurde sichtlich lauter, aber ich schaffte es die ganze Zeit, nicht zu verkrampfen (worauf ich sehr stolz bin).
Jetzt war der richtige Moment für die Hebamme gekommen.
„Kerstin, jetzt tun sie RICHTIG weh!!!“, stöhnte ich ins Handy und sie versprach, sofort vorbeizukommen.
Die folgenden Minuten zogen sich wie Kaugummi. Daniel tigerte unruhig durch das Wohnzimmer und schaute immer wieder zum Fenster hinaus, ob Kerstin nicht langsam käme. Ich hing gerade mit beiden Händen am Bücherregal, meine Stirn auf ein Regalbrett gelegt und stöhnte ein lautes „Uuuuuuuuu!“. In einer Wehenpause blickte ich auf und spürte ihre Hand auf meiner Schulter. So eine Erleichterung. „Da bist du ja!“, begrüßte ich sie schluchzend und sie beschloss, nach nur einem Blick auf mich und ohne weitere Untersuchung, dass wir sofort ins Geburtshaus fahren würden.
Auto fahren???
Ach du Schreck!!!
Ich schaffte es noch, daran zu denken, dass wir meine frisch gepackte Tasche und die Kamera mitnehmen mussten und sogar auch an eine Wickelunterlage fürs Auto falls ich unterwegs einen Blasensprung haben würde.
Kerstin fuhr vor um vor Ort schon mal alles bereit zu machen und Daniel versprach, mich in einer Wehenpause ins Auto zu bugsieren. Klappte nicht ganz. Dummerweise wohnen wir im zweiten OG und eine Minute Wehenpause reichte einfach nicht aus, um ganz rauszukommen.
Also musste ich eine sehr lange und sehr intensive Wehe in einem akustisch ganz phänomenal hallenden Treppenhaus verbringen... Also spätestens jetzt wusste das ganze Dorf Bescheid, dass sich bei uns die Ankunft eines neuen Erdenbürgers vorbereitete.
Die Autofahrt war echt höllisch. Ich musste in den 10 Minuten bestimmt 4 oder 5 Wehen veratmen und auch wenn Daniel das Tempolimit nicht ausreizte, sondern ziemlich überschritt (Natürlich denkt er immer noch, dass ich davon nichts mitbekommen hätte...*gg*), kam mir die Fahrt wirklich ewig vor.
Und dann musste ich im Geburtshaus noch mal zwei Treppen rauf. Gottseidank war Wochenende, so dass auch im Dentallabor im unteren Stockwerk kein Betrieb mehr war, denn auch hier war erst mal schön hallend eine Wehe zu veratmen, bevor ich oben ankam.
Und kaum war ich im Geburtshaus, kam auch die zweite Hebamme an. Ich wurde auf das – übrigens sehr bequeme – Bett gehievt und erst als ich den Bauchgurt umbekam, realisierte ich, dass sie vorhatten, ein CTG zu schreiben! Oh, nein!! Liegen? Bei den Wehen? Och nööööö!
Aber es ging nicht anders.
„Wir machen hier schon so wenig medizinische Routine, wie möglich, aber wenigsten ein CTG muss sein!“ Klare Worte versteht Frau auch unter Wehen, also blieb ich brav liegen.
Kerstin untersuchte mich derweil und stellte fest, dass der Muttermund erst bei 6 Zentimetern war.
Ogott! Noch 4 Zentimeter? Nicht zu überleben!
Die Wehen begannen, mich richtiggehend durchzuschütteln. Ich konnte mich nicht mehr entspannen und alles krampfte sich zusammen. Ich konnte auch nicht mehr richtig atmen und schmiss meinen mp3-player von mir. Meditationsmusik war jetzt echt überflüssig und brachte gar nichts mehr. Erst im Nachhinein wurde mir klar, dass diese Krämpfe keine Verkrampfungen in dem Sinne waren, sondern schon der Pressdrang, weil ich nämlich mitten in der Übergangsphase steckte, aber da konnte ich ja 10 Minuten nach einem Befund von 6 Zentimentern nicht mit rechnen, obwohl ich schon irgendwie dieses berühmt berüchtigte ich-muss-mal-groß-aufs-Klo-Gefühl hatte.
Kerstin fragte mich dann aber: „Drückt das? Drückt das schon?“ und ich nickte nur. Inzwischen klebten mir meiner Haare klatschnass an der Stirn und mein T-Shirt war völlig durchweicht.
Das CTG war fertig geschrieben und sie untersuchte mich direkt erneut: „Ja, wir sind bei 10 Zentimetern! Da steht nur noch der Rand vom Muttermund!“
Wahnsinn! Solche krassen Wehen waren das in der letzten halben Stunde gewesen, dass sie die letzten 4 Zentimeter im Galopp geschafft hatten.
Jetzt war das Schlimmste vorbei und das Anstrengendste würde beginnen.
Und wie das begann! Kerstin hatte bei ihrer Untersuchung festgestellt, dass sie das Köpfchen schon hinter dem Muttermund fühlen konnte. Sie ertastete die Fontanelle und konnte so feststellen, dass er noch nicht ganz perfekt gedreht war. Sie entschied mit ihrer Kollegin zusammen, dass ich es deshalb erst einmal im Liegen versuchen sollte. Also Seitlage, Bein anziehen und los ging die Presserei bei der nächsten Wehe. Danach wechselten wir die Position so an die 5 Mal, je nachdem, was Kerstin gerade ertastete. Vom Bett ging es ans Tuch (ein langes Tragetuch, dass an einem Deckenhaken befestigt war und wo man sich während der Wehe dranhängen konnte. Doch da verkrampfte ihr meine Pomuskulatur zu sehr und ich schaffte es auch nicht, in den Wehen die Knie locker zu lassen. Also setzte sie mich aufs Klo (!!), das direkt neben der Gebärwanne stand. Wieder für 5 oder 6 Presswehen. Vom Klo ging es noch mal in die Seitlage auf das Bett. Jetzt war auch mein Mann gefragt, weil ich inzwischen so einen starken Druck verspürte, dass ich das Bein nicht mehr ablegen konnte. Er musste es in den Wehenpausen festhalten.
Hier wurde auch wieder untersucht. „Ich kann das Köpfchen schon in der Scheide ertasten!“, sagte Kerstin. „Jetzt gehen wir in die tiefe Hocke!“ Und was die tiefe Hocke war, das sollte ich noch tagelang nach der Geburt am ganzen Leib spüren.
Die Hebammen bereiteten etwas im Hintergrund vor und ich wurde für ein oder zwei Presswehen alleine gelassen. Ich hörte aber, wie sie sich unterhielten. „Guck mal!“, sagte Kerstin zu ihrer Kollegin „Jetzt wird die Anna echt für alle ihre Mühen belohnt!“ (Ich wusste, dass die Hebammen in ihren Teamsitzungen meinen Fall besprochen hatten)
Das war zwar eigentlich nicht für meine Ohren bestimmt (obwohl – ich Nachhinein bin ich mir da nicht mehr so sicher), aber die Erkenntnis sickerte in mir durch, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. es ging nur noch vorwärts.
Daniel saß irgendwann auf einem Sessel, vor den man einige Laken und Tücher gelegt hatte. Er hielt meinen Oberkörper unter den Armen fest und ich hockte davor. In jeder Wehenpause stemmte Daniel mich nach oben und wenn die Wehe kam, musste ich mich in die Hocke sinken lassen und dann pressen, was das Zeug hielt. „Komm, Anna, trau dich! Über den Widerstand musst du drüber!“
Millimeter für Millimeter spürte ich, wie der unerträgliche Druck langsam von oben nach unten wanderte.
Ehrlich, das Pressen war das Anstrengendste, was ich in meinem Leben je tun musste... ein urgewaltiges Erlebnis. Daniel ermahnte mich immer wieder, meinen Kopf beim Pressen nach unten zu nehmen und stemmte mich brav nach jeder Wehe wieder in die Höhe. (Auch er hatte ordentlich Muskelkater am nächsten Tag).
Dann war es soweit. „Jetzt! Jetzt kannst du das Köpfchen fühlen!“, ich langte mit einer Hand nach unten und ertastete etwas weiches, glitschiges. „Wahnsinn!“, stöhnte ich.
Dann kam die letzte Presswehe. „Schieb. Schieb jetzt!“, kam das Kommando und ich schob mit all meiner Kraft, überwand den letzten Widerstand. „Ein Mal noch, dann ist er ganz da!“ und ich schob noch einmal und auf einmal – war es vorbei.
Ich blickte nach unten und da lag Julian. Gerade eben war er noch nicht da gewesen und jetzt war er da, lag in einem ganzen Fruchtwassersee und schrie. Ich weiß nicht, was ich dann für ein Geräusch machte, es war irgendwas zwischen Lachen, Weinen und Triumpfgeheul: „Oh mein Gott, ich hab das geschafft! Ich hab das geschafft!“, sofort gefolgt von: „Gebt ihn mir!“
Sie halfen mir, mein T-Shirt auszuziehen und legten mir das Baby in die Arme, holten sofort Handtücher um ihn zuzudecken. Er war warm und weich und glitschig und lebendig und er protestierte lautstark. „Hallo Julian!“, begrüßte ich ihn.
Dann stützten sie mich hoch und brachten mich zum Bett zurück, wo wir erst einmal ausgiebig kuscheln durften. Ich legte Julian auch direkt an und er nuckelte fleißig an meiner Brust herum. Ob das allerdings vor oder nach dem Gebären der Plazenta war, weiß ich nicht mehr so genau. Die Plazenta habe ich mir hinterher auch noch einmal zeigen lassen – was für ein faszinierendes Gebilde! Vor allem, weil ich sie mir wesentlich kleiner vorgestellt hatte. Sie war auch noch ganz in der Fruchthülle drin mit Nabelschnur und allem und man konnte sich, als Kerstin das ganze Gebilde auseinanderzog richtig vorstellen, dass das für 9 Monate Julians kleine Welt gewesen war.
Nachdem die Plazenta da war, durfte Daniel auf jeden Fall die Nabelschnur durchtrennen und danach wurde ich noch genäht.
Ehrlich, das hatte ich mir schlimmer vorgestellt. Das einzig Unangenehme war die Betäubungsinjektion. Aber Kerstin und ihre Kollegin lenkten mich dabei prächtig ab indem sie pausenlos Fragen stellten und mit mir redeten.
Daniel und ich schrieben ein paar SMS und ich telefonierte noch mit meiner Mama, dann wurde noch die U1 gemacht (3200g, 49cm, 35KU) und danach wurden wir etwas gewaschen, angezogen und nach Hause entlassen.
Montag, der 08.10.2012
Und da bin ich seitdem, habe kein Krankenhaus von innen gesehen, erhole mich rasend schnell (nach einer Woche Muskelkater und Wundschmerz inzwischen absolut schmerzfrei) und fühle mich wie der erste Mensch, der den Mount Everest bezwungen hat.
Vielleicht geht es mir nur deshalb so, weil meine beiden Jungs auf so unterschiedliche Weise das Licht der Welt erblickten, wie es unterschiedlicher nicht mehr ging, aber ich fühle mich, als habe man mich vor 6 Jahren um dieses unglaubliche Erlebnis betrogen und ich fühle mich aber gleichzeitig getröstet und geheilt. Eine Panikattacke werde ich mit Sicherheit nie wieder bekommen, wenn ich ein Gebärzimmer betrete.
Mein Wochenbett verläuft dementsprechend auch sehr anders, als beim letzten Mal. Heultage? Habe ich nicht, höchstens ein paar Freudentränen. Schmerzen? Marginal trotz Dammriss II. Grades. Stillprobleme? Was ist das?!
Klar hat die Neugeborenenzeit ihre typischen Tücken (Clusterfeeding, kurze Nächte), aber wenn Mama fit ist, ist alles nur noch halb so wild.
Und die Erinnerung an die Schmerzen und an all das Unangenehme, was eine Geburt mit sich bringt verblasste zwar nicht, wie immer behauptet wird, in dem Moment, in dem das Kind auf meinem Bauch lag, aber auf jeden Fall spätestens nach einer Woche im Oxytozinrausch...
Mit Sicherheit hätte ich das ohne die Unterstützung, die ich durch die Hebammen im Geburtshaus erfahren habe, nicht geschafft. Ich kann kaum ausdrücken, wie dankbar ich ihnen bin.
Mit ihrem Know How und ihrer Gelassenheit haben sie mir das nötige Selbstvertrauen gegeben um das zu schaffen.
Kommentare
7,471
Für uns steht inzwischen auch fest, dass wir das nächste mal genau aus den von dir genannten Gründen ins Geburtshaus gehen würde - weil das einfach viiiiiel natürlicher abläuft als die vielen Eingriffe im KH! Schön zu lesen, dass du so begeistert bist, das bestärkt mich sehr! ;-)
987
Schön das du alles dann doch noch so gut verarbeiten konntest und deine Zweite Entbindung ein richtiger Erfolg war! Auch ganz toll das dein Mann so viel geholfen hat!
Alles Alles Gute euch :happy273:
4,111
Ich habe beide gelesen aber mir ging es wie dir. Ich wollte die zweite Geburt selbstbestimmt erleben um die erste zu verarbeiten. Toll, daß das auch bei dir funktioniert hat!! Liest sich wunderschön!
Herzlichen Glückwunsch!!
875
Alles alles Gute!
533
2,666
60
Es ist wirklich eine Mutmachgeschichte
Eine schöne Kuschelzeit wünsche ich euch :cama:
1,208
Fühle mich auch an meine 2 geburt erinnert...
gruß ed
4,431
Aber Danke für eure lieben Worte. V.a. Manna hat den Nagel echt auf den Kopf getroffen. Das ist fast Wortlaut dessen, was mir auch durch den Kopf ging!
Und Mäusle: Trau Dich beim nächsten Mal! Es wird belohnt werden!
7,740
2,833
ich freu mich so für euch daß endlich euer zweiter Zwerg da ist. und daß die Geburt dann noch so super und wunschgemäß verlaufen ist - ein Traum !!!
Lasst es euch gut gehen
viele Grüße
Ute
2,475
622
ICh freue mich für Dich, dass Du doch nach dem Not-KS so ein schönes Geburtserlebnis hattest.
Die Ängste kann ich nachvollziehen. Lena kam damals ja auch mit Not-KS zu Welt.
Fein, habt ihr das gemacht!!!
Alles Liebe und danke Dir für die schöne Zeit, die wir hibbelnd bei den Herbst-Wintermamis verbracht haben!
:sunny:
LG Uta
4,431
Es ist echt unglaublich, wie schnell man sich nach einer natürlichen Geburt erholt... ich spüre jetzt schin kaum noch etwas davon! A ist echt kein Vergleich.
656
Ich freu mich ganz doll für dich, daß es diesmal so gut gelaufen ist und du endlich ein schönes Geburtserlebnis hattest!!!!!