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Von Julia Merlot
Muttermilch ist gesund für Babys, keine Frage. Aber nicht jede Frau kann stillen. Einige Mütter besorgen sich die Milch deshalb über soziale Netzwerke wie Facebook. Ärzte und Behörden warnen vor dem unkontrollierten Handel.
"Jemand in Düsseldorf, der Milch für ein zwölf Wochen altes Baby spenden könnte?" Die Posts auf Facebook klingen skurril: Frauen aus aller Welt treffen sich hier, um mit Muttermilch zu handeln - initiiert durch Organisationen wie Human Milk 4 Human Babies oder Eats on Feets. Muttermilch ist ohne Frage die gesündeste Nahrung für einen Säugling. Aber gilt das auch, wenn sie von einer Fremden aus dem Internet stammt?
Ärzte und Behörden stehen den Tauschbörsen skeptisch gegenüber: "Ich würde mein Kind nicht mit ungeprüfter Milch einer Fremden füttern", sagt Corinna Gebauer, ärztliche Leiterin der größten deutschen Milchbank am Universitätsklinikum Leipzig. Schließlich kenne man den Lebenswandel und den Gesundheitszustand der Spenderin nicht: Nimmt sie Medikamente oder Drogen, hat sie ansteckende Krankheiten, raucht oder trinkt sie?
Auch Behörden wie die amerikanische Food and Drug Administration (FDA), Health Canada und die Französische Agentur für die Sicherheit von Gesundheitsprodukten (Afssaps) raten von den modernen Milchbasaren ab. Die Nationale Stillkommission in Deutschland teilte auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE lediglich mit, gewerbliche Angebote von Muttermilch seien hierzulande bisher nicht bekannt.
Wichtige Faktoren: Gesundheit, Säuglingsalter und Hygiene
Über die Muttermilch saugen Babys neben Nährstoffen auch Viren, Bakterien und Giftstoffe auf. HIV und Hepatitis-B-Viren werden genauso übertragen wie das sogenannte Cytomegalievirus (CMV). CMV ist ein weit verbreitetes Herpesvirus, das für gesunde Erwachsene meist harmlos ist, vor allem Frühgeborenen aber gefährlich werden kann. Besonders häufig entdecken Gebauer und ihre Kollegen Haut- und Darmbakterien in der Muttermilch, die sich beim Abpumpen einschleichen können.
"Frauenmilch ist kein steriles Produkt", sagt Gebauer. "Darin sind immer Keime enthalten. Die entscheidende Frage ist nur welche und wie viele." Das Bakterium Staphylococcus aureus etwa lebt auf der Haut von jedem Menschen, kann während der Stillzeit aber eine Brustdrüsenentzündung verursachen. Gelangt es in die Milch und vermehrt sich dort, belasten Giftstoffe, welche die Erreger produzieren, den Körper des Säuglings und können zur Vergiftung führen.
Außerdem spielt das Alter des Babys beim Milchtausch eine Rolle: Es sollte gleich alt sein wie der Säugling der Spenderin, denn kurz nach der Geburt benötigen Babys mehr Nährstoffe als im Alter von einigen Wochen oder Monaten. Die Muttermilch ist genau darauf abgestimmt. "Die Milch der eigenen Mutter ist immer die beste", so Gebauer. "Über sie werden auch Antikörper übertragen, die das Kind genau vor den Keimen schützen, denen es ausgesetzt ist."
Allerdings kann das Credo "breast is best" Frauen stark unter Druck setzen, unter allen Umständen stillen zu müssen. Dabei kann Industrienahrung durchaus eine akzeptable Alternative sein. Zudem kommen immer neue wissenschaftliche Erkenntnisse hinzu: Nachdem Ärzte jahrelang propagierten, Babys sechs Monate ausschließlich zu stillen, deuten neue Forschungsergebnisse darauf hin, dass es für Kinder gesundheitlich besser sein könnte, wenn sie schon im Alter von vier Monaten andere Lebensmittel bekommen.
Muttermilch als lukrative Geldquelle
Um die Risiken bei einer Muttermilchspende so gering wie möglich zu halten, befragen und testen Milchbanken ihre Spenderinnen genau. "Wer Muttermilch abgibt, wird untersucht wie ein Blutspender", erklärt Gebauer. Zusätzlich wird die Milch auf Keime gescreent.
Auch die Internetinitiativen haben Leitlinien, nach denen sich Mütter über den Gesundheitszustand der Spenderinnen informieren sollen. Etwa liefert der Mutterpass grundlegende Informationen. Auch ein ausführliches Blutbild bringt etwas Sicherheit. Im Zweifel soll die Milch laut Anleitung abgekocht werden. Wie genau sich die Mütter an die Vorgaben halten, ist jedoch unklar.
"So sauber und genau wie die Milchbanken bekommt man das Abpumpen und Kochen zu Hause nicht hin", sagt Gebauer. In den Kliniken wird die Frauenmilch bei Bedarf streng automatisch pasteurisiert: etwa 60 Grad Celsius über eine halbe Stunde. Dabei sterben nützliche Bestandteile teilweise ab - beim unsachgemäßen Abkochen mehr als beim professionellen Pasteurisieren.
Gebauer befürchtet, dass Frauen, die Milch im Internet verkaufen, vor allem eines im Sinn haben: Profit. "In den USA, wo das System bereits weiter verbreitet ist als hierzulande, verlangen einige Frauen schon mal 100 Dollar für einen Liter Muttermilch", erzählt die Neonatologin. Dass manche Frauen die Milch gar mit Wasser strecken, um noch mehr rauszuholen, sei nicht auszuschließen.
Zu welchen Preisen die Milch in Deutschland den Besitzer wechselt, ist nicht bekannt. Einige Mütter verschenken sie auch, weisen dann aber teilweise ausdrücklich darauf hin. Das spricht dafür, dass Geschenke auch in der deutschen Gemeinschaft nicht selbstverständlich sind. Gebauer wäre es lieber, die Frauen würden die Milch gegen eine Aufwandsentschädigung einer Milchbank spenden. Die Milch in den Deutschen Milchbanken ist knapp und deshalb bislang Frühchen vorbehalten, denn die sind oft zu schwach, um von der Brust zu trinken.
Direkt nach der Geburt stillen in Deutschland etwa 80 Prozent aller Frauen. In den Wochen danach nehme der Anteil jedoch rapide ab. "Nur sehr wenige Frauen können ihr Baby nicht mit der Brust füttern - etwa aus anatomischen Gründen oder weil sie bestimmte Medikamente nehmen", so Gebauer. Künstliche Säuglingsnahrung könne dann eine Alternative sein. "Viel sinnvoller, als Frauen zu unsicherem Handel mit Muttermilch im Internet zu ermutigen, wäre es, sie beim Stillen zu unterstützen."
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