Heute vor drei Jahren..

MangiferaMangifera

192

bearbeitet 10. 05. 2015, 12:16 in Kummerkasten
(Ich möchte heute zum ersten mal mich schriftlich von einem Freund verabschieden, der sich das Leben genommen hat. Also falls jemand vielleicht getriggert werden könnte, besser nicht weiterlesen)



Lieber "Leo",

heute vor drei Jahren hast du es wahr gemacht. Die Polizei stand vor meiner Tür "Guten Tag, kennen Sie Herrn X. aus Y.? Er wird vermisst, wissen Sie wo er sich aufhalten könnte?" Der Moment von dem ich, seit wir uns näher kannten, gefürchtet hatte, dass er kommt, auf den ich versucht habe, mich innerlich vorzubereiten war da.
Ich wusste, du hast es nun tatsächlich wahr gemacht. Ein Funke Hoffnung blieb noch. Vielleicht bist du auch nur untergetaucht, wolltest mal raus.
Du hattest mir doch versprochen keinen Mist zu machen, wenigstens nicht in meiner Schwangerschaft. Und Versprechen waren dir immer so wichtig, dass sie nicht gebrochen werden. Ja, ich bin traurig immer noch..aber auch wütend, auch immer noch.
Und ja, ich mache dir Vorwürfe, so wie ich sie mir mache.

Hätten wir uns an dem Tag zuvor nicht gestritten...auch noch über eigentlich nichts, dass weißt du..wäre es dann nicht soweit gekommen? Wäre ich an mein Telefon gegangen, als du nochmal versucht hast, anzurufen, hätte ich das Ganze nochmal abbiegen können?

Deine beste Freundin hat sich, nach einem Streit mit dir umgebracht. Du hast darunter sehr gelitten, dir Vorwürfe gemacht und so etwas wolltest du nie jemandem antun, schon gar nicht mir. Aber du hast es getan. Darüber bin ich verdammt sauer und dazu wirst du dir einiges anhören müssen, wenn wir uns irgendwann wiedersehen.

Aber, selbst wenn ich es an dem Tag hätte verhindern können, so wie ich viele Male mit dir gerungen habe um dich aus deinen dunkeln Gedanken und dem Loch wieder herauszuholen, wie lange wäre es danach gut gegangen?
Die Abstände haben sich dramatisch verkürzt, du wolltest sehr viel von mir. Aufmerksamkeit, Zeit, Kraft. Ich hab gegeben was ich konnte und dir das auch gesagt.

Dazwischen sind so viele Zweifel gewachsen. Warst du wirklich ehrlich zu mir? Das du, nachdem ich dir die Pistole auf die Brust gesetzt habe, tatsächlich eine Therapie angefangen hast, weiß ich inzwischen.
Hattest du wirklich eine Freundin? Warum wusste da sonst niemand etwas von, konnte mich aber als Vertrauensperson ausfindig machen, so dass die Polizei auf mich zukommen konnte?

Warum war immer alles plötzlich so schlimm, wenn ich grade mal etwas anderes zu tun hatte, obwohl ich mir vorher viel Zeit für dich genommen hatte?
Warum konntest du von tränenersticktem Schluchzen auf völlig normales Gespräch umspringen, wenn ich grade mal nicht in der Laune war, dich zu bemitleiden sondern mal auf den Tisch gehauen habe?

Warum hab ich nichts von den Verletzungen gesehen, als du eine Woche nachdem du mich angerufen hattest um mir zu sagen, dass du dir grade die Handgelenke aufgeschnitten hast, zu Besuch kamst?
Kannst du verstehen, dass ich anfing Zweifel zu haben ob du mir die Wahrheit sagst? Oder dass ich befürchtete, du könntest mich nur ausnutzen..aussaugen wie ein Vampir?

Aber dann hast du es wirklich getan..und ich muss mit dem Gefühl klarkommen, dass ich dir am Ende unrecht getan habe, und mein steigendes Misstrauen die Situation verschlimmert hat.

So viel dass nicht zusammenpassen wollte. Du hattest Pläne, wolltest auswandern, hast dein Studium darauf ausgerichtet dass es klappt. Du hattest einen Sohn, auch wenn du schon lange von ihm getrennt warst. Angeblich hast du Haustiere gehabt, warst im Tierschutz, bei der freiwilligen Feuerwehr und bei der AntiFa aktiv. Hattest einen Garten..den wolltest du mit mir und meinem Sohn irgendwann besuchen zum Erdbeeren ernten, erinnerst du dich?
Eine Freundin, eine Band, Freunde die dir wahnsinnig schöne Gedichte geschrieben haben, als sie erfuhren, dass es dir wieder schlechter geht.

Was davon war wahr, was gelogen? Wenn alles wahr gewesen ist, warum hast du dann den letzten Schritt gewählt und bist gegangen?

Nein, ich denke nicht mehr täglich daran...aber hin und wieder kommt es mir in den Sinn und ich werde diese Fragen nie stellen können. Du wirst mir die Antwort schuldig bleiben.

Ich weiß nicht wo du gestorben bist, auch nicht wie. Ich wollte es damals nicht wissen..ich war schwanger. Wenn man Leben in sich trägt. hat der Tod nicht viel Platz. So war ich auch nicht auf deiner Beerdigung. Ein wenig auch, weil ich Angst hatte. Angst das Vorwürfe kommen würden. Ich war doch deine Vertraute, hätte ich nicht mehr tun können/müssen um dich zu hindern?

Du hast dich davon geschlichen, hast alle Verbindungen abgebrochen, hast keinen Brief hinterlassen der irgendwie etwas Klarheit gebracht hätte.
Du hast es mir mal erklärt. Du hinterlässt keinen Brief weil es niemanden gibt, von dem du dich verabschieden wolltest. Schließlich war das einzige was du bereut hast, dass man dich die vier Male davor noch rechtzeitig gefunden hat. Beim nächsten Mal wolltest du alles richtig machen. Nun, dass hast du anscheinend. Das man dich gefunden hat, war ein Zufall, soviel weiß ich. Aber da hattest du es schon lange geschafft.

Nun ist es also drei Jahre her...was du wohl sagen würdest, wenn du wüsstest, dass ich zum 2. Mal schwanger bin und das ich einen wunderbaren kleinen Sohn habe? Ich denke, du würdest dich für mich freuen. Eigentlich wolltest du mich ja nach der Geburt im Krankenhaus besuchen mit einem riesigen Blumenstrauß.
Vielleicht wäre aber eh schon alles aus, weil ich die Zeit und Kraft nicht mehr hätte, dich aufzufangen, zu begleiten, zu trösten.

Ganz gewonnen hast du nicht, denn so wie du es mal geschrieben hast, nehmen wir deinem Tod den Sinn, weil du in unseren Gedanken und Herzen unsterblich bist. Ich bin sicher, deine Familie und deine Freunde, erinnern sich heute an dich, so wie ich das auch tue.

Schlaf gut, kleiner "Bruder", bis wir uns wiedersehen.

Kommentare

  • bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Zu so etwas kann man kaum etwas sagen. Ich finde nur das Du Dir keine Vorwürfe machen solltest. Solche Menschen hält nichts von ihren Plänen ab. Sonst würde auch keiner ein Flugzeug schrotten oder sich vor einen Zug werfen.
  • JoellaJoella

    2,666

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Ich hab deinen Beitrag gestern Abend schon gelesen und wusste nicht was ich dazu schreiben soll. Ich weiß es immer noch nicht, denn soetwas ist so sehr mit den unterschiedlichsten Emotionen besetzt, dass man sich als Außenstehender nicht mal ansatzweise vorstellen kann wie sich das anfühlen muss. Trotzdem wollte ich deinen Beitrag nicht einfach so unbeantwortet lassen. Deshalb wünsche ich dir einfach, dass du auch weiterhin Wege für dich findest damit umzugehen.
  • MangiferaMangifera

    192

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Danke, ihr Zwei, für eure Worte.

    Meistens bin ich recht glatt mit dem Ganzen. Wie gesagt, als ich ihn damals kennenlernte, hab ich mich innerlich bereits immer für den Moment gewappnet wo ich diese Nachricht bekommen würde.
    Aber das es ausgerechnet nach einem wirklich lächerlichen Streit sein musste, dass hab ich ihm übelgenommen.

    Andererseits, und daran hab ich mehr zu knabbern, hab ich auch eine gewisse Erleichterung verspürt, dass es nun ein Ende hat. Wie geschrieben, habe ich vier oder fünfmal quasi mit ihm gerungen um ihn abzubringen von seinem Vorhaben.
    Zwar kann ich in der Szene dann sehr abgeklärt sein und mich sehr gut innerlich distanzieren, aber es zehrt eben doch sehr an der Substanz.

    Er war psychisch sehr sehr labil. Sozialphobien, starke Depressionen (teilweise manisch. Grad hat man noch gelacht und dachte, alles ist irgendwie grade gut, dann fiel er in sich zusammen und sagte einem das es nichts gibt das ihn irgendwie noch freut. Sehr anstrengend), Schizophrenie, SVV und eben schon 4 Suizidversuche hinter sich.
    Hätte er mir nicht, bei unserem Kennenlernen gesagt, er wäre in Therapie und medikamentös eingestellt, hätte ich ihn ehrlich gesagt, gar nicht so nah an mich herangelassen.
    Wie sich später herausstellte, war das eine Lüge. Weder Therapie noch Medikamente.

    An seinem Todestag, berührt es mich und ich denke an ihn. Sonst trauere ich nicht weil er letztlich das hat, was er wollte. Es war sein Wille. So traurig das auch ist.
    Ich hätte nur sehr gern sehr viel mehr verstanden.
    Letztlich bin ich aber an der ganzen Sache auch gewachsen.
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