Wie wirst du wohl gebären, meine Tochter?“
In ihrem Brief erzählt eine Mutter, warum ihre Geburtserfahrung sie zur Vorkämpferin für eine menschlichere Gebärkultur gemacht hat. Ihre Tochter soll es in Zukunft einmal besser haben. Michaela Skott
Mein liebes Kind,
der Tag, an dem du geboren wurdest, hat alles für mich verändert. Alles. Menschen, die mich vorher schon kannten und auch danach noch begleiteten, werden dir das bestätigen. In gewisser Weise wurde auch ich geboren: als deine Mutter. Vielleicht ist es die Kraft dieses Werdens durch dein Sein, die dazu beigetragen hat, mein „Frau-Sein" neu zu betrachten. Du lagst da in meinen Armen, an meiner Brust und ich dachte an deine Zukunft …
Dieser Moment, in dem ich – nicht mehr selbstbestimmt – deiner „entbunden" wurde, der Augenblick, in dem man dich mir aus einer Klinikroutine heraus fortnahm, waren der Grund dafür, weshalb ich mich heute für eine bessere Geburtshilfe einsetze. Man hatte uns beide beraubt.
Hätte mich früher jemand als Feministin bezeichnet, hätte ich diesem Menschen im besten Fall einen Vogel gezeigt. Heute weiß ich es besser. Es ist nicht egal, wie wir geboren werden. Und es ist nicht egal, wie wir gebären. Das weiß ich nun. Die Geburt gibt einen einzigartigen Impuls für unsere körperliche und geistige Gesundheit und damit für unser ganzes Leben. Wie eine Gesellschaft die Geburt schätzt und mit gebärenden Frauen umgeht, sagt viel über sie aus.
Vielleicht lachst du später darüber, wenn ich dir heute schreibe, dass noch im Jahr 2017 ein Herzinfarkt oder Schlaganfall bei Frauen später diagnostiziert und schlechter versorgt wurde als bei Männern. Und vielleicht kannst du dir dann gar nicht vorstellen, dass es in diesem Land Zeiten gab, in denen die Gesundheitsausgaben bei 330 Milliarden Euro jährlich lagen, die Frauen jedoch nicht einmal die ganze Zeit in ihren Wehen eine Hebamme für sich hatten, die sie begleitete und unterstützte, nur weil die Kliniken am Personal sparten. Eine Zeit, in der sogar manche Frauen ihre Kinder freiwillig allein zu Hause auf die Welt brachten, weil es immer weniger Möglichkeiten für eine Geburt außerhalb der Klinik gab. Eine Zeit, in der jede dritte Frau einen Kaiserschnitt bekam und damit ein dreifach höheres Sterblichkeitsrisiko hatte, weil es für die Klinik wirtschaftlich und haftungsrechtlich besser war. Verrückt, oder? Und weißt du, was noch verrückter ist? Die meisten Frauen fanden das normal.
Diese Erkenntnis hat mich zur Feministin werden lassen. Ich will nicht, dass du es als normal empfindest, wie die Ausrichtung der Geburtshilfe auf Wirtschaftlichkeit und Haftung dir deine Menschenwürde nimmt. Dein Recht auf Gleichbehandlung. Deine Hälfte des Himmels.
Mag sein, dass du dir nun die Zahlen anschaust von damals, 2017: eine geringe Säuglingssterblichkeit, die Müttersterblichkeit statistisch sogar gegen null. Und du dich dann vielleicht fragst, wo eigentlich mein Problem war? Weshalb ich so viele Stunden am Computer, auf der Straße oder in anderen Städten verbracht habe, demonstrierend und aufklärend, während ich eigentlich mit dir hätte spielen können?
Weil alle diese Dinge wie unnötige Interventionen, Operationen, Gewalt in der Geburtshilfe, ausgeübt aus ökonomischen Zwängen, Unwissenheit, Zeitmangel oder Machtmissbrauch, Folgen haben für Mütter und Kinder: Anhaltende Traurigkeit oder sogar Depressionen nach der Geburt, keine Betreuung im Wochenbett – diese für jede einzelne Frauen wichtigen Dinge findest du in keiner Statistik. Aber du findest sie im täglichen Leben wieder. Gebärende, die nicht gut versorgt werden, lernen, dass sie es nicht wert sind, dass Frauen bei der Geburt eben leiden müssen. Ich kenne viele Frauen, die das so sehen: „Eine Geburt tut nun mal weh." Dass Schmerzen, die aus einem produktiven Prozess der Geburt heraus entstehen, etwas anderes sind als ein Leiden an einer unmenschlichen Geburtshilfepolitik, wissen viele gar nicht. Weißt du, weshalb? Ihre Mütter haben es ihnen nicht erzählt.
Ich will es dir erzählen. Ich will dich stark machen. Denn das ist es, was nicht nur die Geburtshilfe in Zukunft braucht: starke Frauen! Frauen, die sich ihrer selbst und ihrer Rechte bewusst sind. Frauen, die Ansprüche stellen. Und es braucht auch Frauen, die das für andere mit einfordern und eine neue Normalität herstellen. Ich hoffe sehr auf deine Generation, kann jedoch nicht darauf warten.
Diese starken Frauen sind im Übrigen nicht allein die Gebärenden. Es sind auch die Hebammen und Gynäkologinnen, die sich dem heutigen System nicht nur durch Entziehen, sondern durch aktives Handeln entgegenstellen. Die individuell und mütterzentriert praktizieren. Letztlich müssten sie alle sagen: „So arbeite ich nicht." Und wenn es nicht mehr anders geht, gemeinsam mit den Gebärenden einen Kreißsaal besetzen, in dem die Zustände unerträglich wurden.
Damit die Zukunft für dich als Frau und vielleicht auch als Gebärende eine gute wird, müssen wir heute laut sein. Das passiert auf der Straße und in den sozialen Medien – klar. Aber weißt du, wo es viel wichtiger ist? Dass es jeden Tag in den Kreißsälen passiert. Wir Frauen und werdenden Eltern müssen gut informiert und selbstbewusst in unsere Geburten gehen. Wir dürfen uns nicht auf das System verlassen. Wir müssen ganz klar sagen, was wir wollen, und noch viel mehr, was wir nicht wollen. Wir müssen unsere Rechte kennen, unsere persönlichen Grenzen verteidigen und gleichzeitig respektvoll miteinander umgehen. Das alles ist nicht jeder Frau gegeben. Deshalb brauchen wir Geburtspläne und eine Feedbackkultur in den Kreißsälen. Wenn wir merken, dass es uns selbst (oder einer anderen Frau) schwer fällt, für uns einzustehen, dann brauchen wir aktive „Anwälte" an unserer Seite. Ich meine damit unsere vertraute Hebamme genauso wie Partnerinnen und Partner, Freundinnen oder auch Doulas sowie gute Informationen.
Wir brauchen ÄrztInnen und Hebammen, die nicht nur daran denken, dass am Ende das Kind gesund ist, sondern denen die seelische Gesundheit der Mutter und deren gute Geburtserfahrung ebenso wichtig sind. Wir brauchen außerdem die Deutungshoheit über unser Geburtserlebnis. Ja, Erlebnis! Dieser Ausdruck ist heute weitestgehend verpönt, impliziert er doch, es ginge uns Frauen um unseren Spaß, mehr als um die Sicherheit unserer Kinder. Dabei geht es doch darum, die Ankunft eines jeden Kindes zu feiern!
Wir dürfen nicht bequem sein wollen. Wir müssen im Kreißsaal und in der Politik für bessere Umstände, für eine menschliche Gebärkultur sorgen! Wenn wir wollen, dass es euch, unseren Töchtern, einmal anders im Kreißsaal ergeht, und wenn wir wollen, dass ihr die freie Wahl habt, wo ihr eure Kinder gebären wollt, dann müssen wir jetzt unbequem und unermüdlich sein.
Starke Frauen gebären starke Kinder. Davon bin ich fest überzeugt. Unsere Gesellschaft braucht beides. Sie weiß es nur noch nicht.
In Liebe, deine Mama
Quelle: Rubrik: Beruf & Praxis | DHZ 04/2017