Johanniskraut

deifiedeifie

60

bearbeitet 22. 10. 2004, 22:04 in Kranke Kinder
Hallo Gisela,
Du hattest mir vor ein paar Wochen hier die Einnahme von Johanniskrautkapseln gegen meine depri Phase nach der Geburt empfohlen. Jetzt muss ich sagen dass es mir auch tatsächlich so langsam besser geht. Ich war ja auch bei einer Homäopatin die mir dann nochmal eine Kur mit Johanniskraut und Melisse verschrieben hat dass ich auch mal endlich wieder Schlaf finde. Mein Frage ist nun ob Johanniskraut abhängig macht denn schliesslich ist es ja auch ein ANTIDEPRESSIVA halt nur auf pflanzlicher Basis. Mein Mann meint dass ich mich mit den Pillen nur hinter etwas verstecke und wenn ich aufhöre dann wieder in dieses schwarze Loch falle, er will nicht dass ich die Pillen noch einnehme und sagt ich muss stark genug sein das alleine zu schaffen. Er hat Angst dass es meiner Gesundheit schadet und er sagt ich sei nicht mehr wie sonst was auch stimmt aber das hat nichts mit den Kapseln zu tun. Früher war ich vor Energie fast kaum zu bremsen musste pro Tag fast ein paar Stunden hinzu bekommen um alles zu schaffen was ich wollte aber heutzutage muss ich sagen dass ich froh bin wenn der Tag vorbei ist und ich einigermassen über die Runden gekommen bin. Das kommt ja anscheinend alles durch meine Hormone und ist eine postpartale Depression aber ich frage mich wie lange das denn noch dauert denn ich habe vor fast 6 Monaten meine kleine bekommen. Stimmt es echt dass der Körper auch wieder 9 Monate braucht um zu sein wie vor der ss?
Habt ihr das auch erlebt? danke, deifie

Kommentare

  • MimiMimi

    1,643

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    AAAALso ich nehme seit 3 Monaten Johanniskraut und ich bin nicht anders als vorher. Da hatte ich aber die Veränderungen meienr Persönlihckeit durch die Geburt schon hinter mir.

    Das sind nicht nur die Hormone (das mit den 9 Moanten stimmt übrigens). Ich habe einen Menschen geboren. Ihm die ersten Monate ins Leben geholfen. War so ge- und überfordert wie noch nie! Wir sind eine Familie geworden.

    Das hat mich geprägt und verändert. Ich kenne nun ein paar Grenzen mehr. Ich weiß mit Sicherheit, daß meine Kraft endlich ist.

    Im Endeffekt: Freu Dich, daß es ohne Chemie geht. Die macht abhängig.

    Ob nach dem Absetzen ein schwarzes Loch kommt, weiß ich nicht. Ich denke die Nerven werden wieder schwächer - mehr nicht. Und daher sollte man aufpassen, wann man das tut. Geht der Tag ganz easy? Wenn nicht, weiternehmen.

    Ich hab vor Alinas Backenzahn auch mal 2 Wochen aufgehört. Und vergessen, daß mir die längere Nacht schon immer aufs Gemüt schlug. Jetzt nehm ichs wieder.

    Ganz ehrlich: auf Deinen Mann bin ich :flaming01:
  • Ute_66Ute_66

    2,833

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Hallo deifie,

    zur Einnahme von hochkonzentriertem Johanniskraut kann ich dir nur folgendes erzählen:

    Ich habe in drei aufeinanderfolgenden Wintern auf Grund mehr oder weniger heftiger sog. "Winterdepressionen" (ist ja eigentlich eher eine depressive Verstimmung) ab Anfang Oktober bis ca. Mitte Februar Johanniskraut genommen.

    Ich habe diese Wintermonate im Vergleich zu den Jahren vorher wesentlich besser und gelassener überstanden.
    Jeweils ungefähr Mitte Februar habe ich dann immer öfter vergessen die Tabletten einzunehmen, dann irgendwann aufgehört und auch nichts vermisst.

    Anfangs habe ich mich noch darüber gewundert, dann jedoch beschlossen daß das zu dem Selbstregulierungsmechanismus meines Körpers (in dem Falle Gehirns) gehört, die Einnahme der Tabletten einfach zu "vergessen" wenn diese nicht mehr nötig sind, und finde es ganz Klasse daß das scheinbar immer wieder funktioniert.

    Ich bin danach nie in ein schwarzes Loch gefallen und habe dies auch noch nie von jemand anderem gehört der Johanniskraut einnimmt.

    Hoffe das kann dich ein bisschen beruhigen.

    dir gute Besserung !
  • deifiedeifie

    60

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Hallo Mimi und Ute,
    danke für eure netten Antworten. Freut mich zu hören dass ich mit dem Johanniskraut weiterfahren kann denn ich fühle mich dadurch echt besser.
    Ich denke auch dass man es wenn man das schlimmste überstanden hat nicht mehr so regelmässig braucht und dann irgendwann beiseite lassen kann. Ich hatte von meinem Hausarzt ein sehr starkes Antidepressiva verschrieben bekommen und habe mich allerdings entschlossen mit diesem Dreck nicht anzufangen denn das ist die Sache mit dem Fall ins schwarze Loch wenn man aufhört.
    Eine Frage noch an Mimi:
    Du schreibst du hast dich nach der Geburt verändert und dass das eine gute Zeit lang dauerte. Kannst du mir erzählen wie das war und wann es wieder normal wurde? Bei mir hat sich alles um 360° gedreht und ich finde mein Leben momentan irgendwie "künstlich" Bin aber wie gesagt dank dem Johanniskraut auf dem Weg der Besserung habe nur höllische Angst vor den bösen Rückfällen.Ich war auch sehr :flaming01: sauer auf meinen Mann aber ich kann ihn verstehen denn so wie er mich momentan sieht hat er mich vor der Geburt nie gekannt!Mal sehen wies weiter geht es kann ja nur besser werden!!!! :grin:
    liebe grüsse an euch und eure kiddys
    deifie :knutsch01:
  • MimiMimi

    1,643

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Puh- intime und schwierige Frage - ich versuch mich mal kurz zu fassen.

    Ich mußte mich 14 erwachsen werden und habe für mich die volle Verantwortung übernommen. Ich habe viele Krisen immer aus eigener Kraft und relativ schnell überwunden. Klar, das hat Narben hinterlassen aber auch das Wissen: mich kriegt keiner klein. Und ich war stolz darauf!

    Und ich leide an Perfektionismus. Da gings los. Ich brauchte eine PDA und fühlte mcih als Lusche. Bin aber trotzdem nach der Geburt gleich nach Hause - Krankenhäuser haß ich.

    Mein Männe ist Chef in ner mittelständischen Firma und workaholic udn auch Perfektionist. Und gehört zu der Sorte, die mit Babys erst ab 9 Monaten was anfangen konnten (weiß ich erst, seit Alina 9 Monate ist!) Mein Mann fühlte sich als Vater total unfähig und ist viel früher als geplant wieder arbeiten gegangen. Und ich mußte den Alltag allein stemmen. Und hatte solche Angst. Daß sie mir weggenommen wird, daß eingebrochen wird, daß mein mann einen Unfall hat. Als ich das erste mal 200 Meter allein mit ihr spazieren war, wäre ich fast vor Angst gestorben. Aber ich habe es geschafft.

    Noch nie war ich so gefordert. Alina wollte 13mal in 24h stillen. 6 Monate lang. Mein längstes Dauerstillen liegt bei 6 Stunden. Sie konnte tagsüber nur während Bewegung schlafen. Also hab ich sie rumgetragen oder bin spazieren gelaufen.

    Aber das sind nur Fakten. Das wichtige ist ja das Gefühl!!! Diese Mischung aus Liebe und Verantwortung hat mich erst gelähmt. Das kann man ja gar nicht schaffen - nicht perfekt. Und das stimmt. Und ist OK! Das habe ich begriffen. Und daß es keine Schande ist Hifle zu brauchen, sondern sie sich nicht zu verschaffen. Daß man fallen darf, solange man sich irgendwann wieder aufrafft.

    Ich bin gnädiger geworden. Mit meinen Urteilen mir selbst und meinen Mitmenschen gegenüber. Ich renne nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand sondern kletter oben drüber oder geh an der Seite vorbei. Ich kann meine Mutter, die ich solange für irgendwie schwach gehalten habe, so gut verstehen. Ich bin weicher, demütiger.

    Ich habe gelernt, daß die Bauchstimme mind. so wichtig ist, wie die im Kopf. Das treibt man uns ja in dieser Gesellschaft gründlich aus. Daher sind wir so hilflos! Wir haben keine 8 Geschwister und wissen alles über wickeln, stillen, schlafen, spielen. Wir müssen alles neu lernen. Und sind doch auf Grund der Tatsache, daß wir die Mütter sind, einfach die Experten. Wir haben vor den Vätern 9 Monate Vorsprung!

    Alina hat mich aus der Trägheit gerissen. ich habe mich jahrelang vor dem TV langsam fettgefressen. Jetzt bin ich 2mal am Tag unterwegs - Minimum! Ich bin wieder zu meiner früheren Agilität zurückgekehrt.

    Ich glaube an das Leben. Was meine Eltern an Urvertrauen zerstört haben, hat Alina geheilt. Nach und Nach. Ich denke mit Grauen zurück an die Nacht, in der ich genau wußte, entweder sie stirbt heute oder ich kann SIDS vergessen. Ich habe auf dem Flur gekniet, geweint und sie stumm angefleht, bitte zu bleiben, falls es ihr möglich ist. Sie blieb und dafür bin ich ihr soooo dankbar. Auch wenn es - gerade bei Backenzähnen - Tage gibt, an denen ich wieder überfordert bin.

    Ich kann meinem Mann glauben, wenn er sagt, daß er fertig ist und einfach nicht mehr kann. Ich verdächtige ihn nicht mehr zu lügen, um nicht abends auch noch ran zu müssen. Oder daß er ewig in der Fima ist, um vor uns zu fliehen. Manche Menschen haben mehr, manche weniger Kraft. Und die mit weniger, dürfen bei 100 % genauso aufhören, auch wenn sie effektiv weniger geschafft haben.

    Sorry, das ist lang geworden. Und wohl auch ein bißchen wirr. Ich hoffe, Du verstehst ein bißchen, was ich meine. Und glaub ja nicht, daß ich nicht hier sitze und heule, wenn ich an all das und meine Hilflosigkeit zurückdenke. Es wird besser! Stück für Stück. Und keiner kann sagen, wann. Das ist das bittere. Wenn man wüßte - da ist es gut, hätte man ja ein Ziel. Aber man glaubt eben, es geht ncoh 10 Jahre so weiter, dabei ist es in einer Woche schon viel besser...

    Alles Gute für Dich!
  • deifiedeifie

    60

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Hallo an alle,

    Ich wollte nur mal fragen warum ich von den anderen Frauen wie Gisela oder Marlies in letzter Zeit keine Antworten mehr bekomme?
    Wenn ich nerve muss man es nur sagen aber ich dachte das Forum ist dafür da um Hilfe zu seinen Problemchen zu bekommen.
    Nichts für ungut aber ich würde mich sehr über eure Ratschläge freuen (falls ihr welche habt!!)
  • bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Manchmal sind die Antworten von den Anderen einfach völlig richtig, oder in unserem Sinne. Dann schließen wir uns stillschweigend an, und greifen nur ein wenn nötig.
  • AnonymousAnonymous

    59,500

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    Das sind nicht nur die Hormone (das mit den 9 Moanten stimmt übrigens). Ich habe einen Menschen geboren. Ihm die ersten Monate ins Leben geholfen. War so ge- und überfordert wie noch nie! Wir sind eine Familie geworden. Das hat mich geprägt und verändert. Ich kenne nun ein paar Grenzen mehr. Ich weiß mit Sicherheit, daß meine Kraft endlich ist. (...) Ich bin weicher, demütiger. Ich habe gelernt, daß die Bauchstimme mind. so wichtig ist, wie die im Kopf. (...) Wir müssen alles neu lernen. (...) Alina hat mich aus der Trägheit gerissen. (...) Ich glaube an das Leben. Was meine Eltern an Urvertrauen zerstört haben, hat Alina geheilt. Nach und Nach.

    Ich finde, Mimi hat da vieles sehr schön beschrieben.
    Dein Mann hat völlig recht: Du bist definitiv ein anderer Mensch als vor der Schwangerschaft. Und die Frau, mit der er vor der Schwangerschaft gelebt hat, wird auch nicht wieder zurückkommen. Dein Leben hat sich um 180° gedreht, falls Du vorher berufstätig warst und jetzt ausschließlich Mutter bist. Das ist so. Es ist logisch, es ist richtig - es ist natürlich. Es ist Leben.

    Ich war vor der Schwangerschaft selbständig in einem kreativen Beruf, dachte, ich definiere mich hauptsächlich durch meinen Beruf, dachte, der Beruf macht mich interessant und eigenständig, dachte, der Beruf ist Hauptquelle für mein Selbstwertgefühl, dachte, ohne meinen tollen Beruf könnte ich niemals sein, dachte, ich bin ein Arbeitstier udn wäre als Mutter unterfordert, dachte, ich würde womöglich mein Kind nicht genug lieben, weil ich doch so karriereorientiert bin, dachte, ohne meinen Beruf bin ich nichts. Was ich nicht so alles dachte.
    Ich lebte schlicht nach meinen aktuellen Bedürfnissen, hatte keine Verantwortung außer der für mich selber und mein Wohlergehen und die nahm ich auch nicht besonders ernst. Ich ging wenig achtend mit anderen Menschen um, wenn deren Interessen meinen zuwiderliefen. Ich lebte ziemlich egoistisch in den Tag hinein, gab meinen Launen und Ängsten nach, blieb die ganze Nacht auf, schlief am Tag, ließ mich von anderen Menschen manipulieren und manipulierte, um zu bekommen, was ich wollte oder was sie wollten, vertraute niemandem, vor allem nicht mir selbst. Ich war es nie anderst gewohnt.

    Ben hat alles verändert in meinem Leben. 180°.
    Schon als ich mit ihm schwanger war, wurde mir wie ein harter Schlag ins Gesicht die Verantwortung bewußt, die ich automatisch trage, wenn ich ein Kind bekomme. Darüber habe ich mir vor der Schwangerschaft eher wenig Gedanken gemacht. Ich bekam eine höllische Panik - ich war bisher ja nichtmal achtsam, liebe- und verantwortungsvoll mit mir selber umgegangen - wie sollte ich da der neuen Aufgabe gewachsen sein und ein Kind vorbildlich so ins Leben begleiten, daß es die Fähigkeit mitbekommt, glücklich zu sein. Ich hatte wohl noch nie in meinem Leben eine solche Angst, ich könnte versagen und damit diesem kleinen Menschen das ganze Leben versauen. Ich habe auch das Verhalten und die Gewohnheiten von Bens Vater und unsere Beziehung, unseren Umgang miteinander hinterfragt und kam irgendwann zu dem Schluß, daß ich das diesem kleinen Menschen nicht zumuten kann, daß ich nicht möchte, daß er lernt, daß Lebensbewältigung und Partnerschaft SO funktionieren. Ich habe mich nach 2 1/2 Jahren Beziehung von Bens Vater getrennt - ein Schritt der mir nicht leichtfiel, weil ich ihn wirklich gernhabe und ihn damit auch noch von seinem Kind getrennt habe - aber eine wirkliche Partnerschaft war mit ihm nicht möglich und ich wollte für meine Zukunft mehr als das was mit ihm möglich war. Es gab einfach einige Sachen, mit denen ich nicht leben kann und möchte und es steht mir nicht zu, von ihm zu fordern, daß er sich ändert, damit ich mit ihm klarkomme.
    Zwei Jahre lang habe ich versucht, mich damit irgendwie zu arrangieren und es zeitweise auch geschafft, denn es ging ja um nichts - nämlich nur um mich.
    Aber mit dem Baby geht es auf einmal um so unglaublich viel. Es geht um einen kleinen Menschen, der noch keine bewußte Entscheidung darüber fällt, wen er sich zum Vorbild nimmt, ob er jemandem nachfolgen möchte, etwas als normal ansehen will oder nicht. Er wird annehmen, was man ihm vorlebt.
    Mir wurde durch Ben auf einmal die Verantwortung für mich selber bewußt. Mir wurde bewußt, daß ich vor allem die Verantwortung dafür trage, daß es mir gutgeht. Dann auch dafür, daß es Ben so gut wie möglich geht, bis er alt genug ist, selbst zu entscheiden, was gut für ihn ist.
    Man kann Menschen nicht vor allen Gefahren des Lebens schützen, man kann sie nur lieben - aber Babys können die Verantwortung für sich noch nicht selber tragen, die tragen erstmal die Eltern. Man ist verantwortlich für ihre Primärbedürfnisse, dafür, sie zu nähren und auf ihre Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zu achten und entscheidet damit über Leben und Tod. Man kann seine Kinder von ganzem Herzen lieben und auch das ist schon eine große Verantwortung, eine schöne Verantwortung - aber man zeigt ihnen als Eltern auch den Weg ins Leben durch das, was man ihnen vorlebt und entscheidet damit darüber, ob sie die Fähigkeit erwerben, zu lieben und glücklich zu sein.

    Und diese Verantwortung wiegt sehr schwer. Schwerer, als mancher tragen kann.
    Mancher empfindet sie als erdrückende Last, als unnatürlich, würde sie von Zeit zu Zeit gerne loswerden und wieder unbeschwert und frei durchs Leben gehen, in den Tag hineinleben ohne sich drum zu kümmern, was das Kind für Bedürfnisse hat udn was getan werden muß, tun, wonach ihm gerade ist, ohne Rücksicht auf Vorbildlichkeit, auf andere und auch auf sich selbst.
    Die Verantwortung für sich selbst und für einen kleinen Menschen zu tragen ist wohl die größte Aufgabe, die es gibt.
    Das ändert das ganze Leben. Das kann Angst machen. Das kann depressiv machen.

    Niemand ist perfekt und in jede neue Aufgabe muß man sich erst hineinfinden. Ich habe auch manchmal panische Angst davor, daß ich es nicht schaffe, der Verantwortung gerecht zu werden. Und doch weiß ich, daß ich als Frau genau für dies Aufgabe gemacht bin: einen kleinen Menschen so gut wie möglich ins Leben begleiten.

    Wenn ich Ben ansehe, wird mir bewußt, wie machtlos ich bin, wie wenig das Leben kontrollierbar ist, wieviel Defizite ich habe und wie wenig ich dafür garantieren kann, daß ihm nicht zustößt, daß ich alles richtig mache - er macht mir meine Schwäche (und die anderer Menschen) so sehr bewußt. Als karriereorientierter Single ohne Kind habe immer gedacht, ich bin stark - Ben in meinem Leben macht mich weich und schwach. Damit fertigzuwerden ist nicht so einfach. Demütig trifft es ganz gut.

    Und doch bin ich mir sicher, daß ich mit der Geburt von Ben endlich angekommen bin im Leben. In meinem Leben und bei mir. Ich bin eben nicht immer stark. Wenn ich Ben ansehe, weiß ich, wo mein Platz ist im Leben und wofür sich alles lohnt. Ich bin zuhause.

    Ich war früher ständig auf der Suche, ohne genau zu wissen wonach. Ich habe mich nirgendwo wirklich zuhause gefühlt. Ich war rastlos und getrieben, nie zufrieden mit dem, was ich hatte oder gerade gemacht habe, dachte immer, was anderes wäre eigentlich noch besser, würde mich glücklicher machen, wäre aufregender, könnte mir mehr Spaß machen, mich glücklicher sein lassen... Vielleicht ein anderer Mann, eine andere Wohnung, eine andere Stadt, eine andere Arbeit, andere Freunde.
    Ich schätze, ich war auf der Suche nach mir selber.
    Mein Leben vor Ben war ein Schauspiel. Ich habe eine Rolle gespielt und versucht, jemand zu sein der ich nicht bin - um groß zu sein, um stark zu sein, um nicht angreifbar zu sein, um gemocht zu werden, um zu funktionieren, um Anerkennung zu ernten.
    Dabei erfordert nichts mehr (De)Mut, Energie, Nervenstärke und Kraft, als man selbst zu sein. Denn damit macht man sich schwach und angreifbar.
    Als Mutter bin ich ganz ich selbst. Und nie war ich schwächer und verletzlicher.
    Ich empfinde "Mutter sein" manchmal wie eine offene Wunde - und doch bin ich auf eine andere Art auch viel viel stärker als jemals zuvor in meinem Leben. Bei sich selbst angekommen zu sein macht nicht nur verletzlich, es verschafft auch einen stabileren Stand, um von den vielen Ängsten, die das Leben so aufgebaut hat, nichtmehr ständig aus den Schuhen gekippt zu werden. Sie bringen mich zwar immernoch zum Wanken und es sind auch neue dazugekommen, aber ich habe einen wesentlich sichereren Stand und fühle mich ihnen auch gewachsen.

    Ich mußte darüber nachdenken, als ich deifis Beitrag gelesen habe und mir parallel dazu jemand von einer aufregenden neuen Bekanntschaft erzählte - einer Frau die mit 32, nach jahrelangen erfolglosen Versuchen eine Familie zu gründen, beschloß daß sie garkeine Kinder haben will, auch keine feste Beziehung, deshalb ihren Mann verließ und ihren Job aufgab, um an eine Schauspielschule zu gehen und Schauspielerin zu werden. Erst dachte ich - wow, wie mutig, so eine radikale Wendung zu machen, um einen Traum zu verwirklichen, wirklich interessant.
    Aber dann bin ich ins Grübeln gekommen.
    Da gibt jemand sein bisheriges Leben, seinen Beruf, die Nähe einer Partnerschaft und die Chance auf eine Familie auf, um perfekt zu lernen wie man jemand anderer ist als er selbst. Um dauerhaft in immer wechselnde Rollen zu schlüpfen wie in fremde Kleider, um andere Persönlichkeiten möglichst überzeugend anzunehmen und dafür Aufmerksamkeit, Anerkennung und Beifall zu bekommen. Um dafür gefeiert zu werden, daß man eben nicht man selber ist. Um die mögliche menschliche, gefühlsmäßige Nähe in einer intimen Beziehung zu EINEM Menschen, in die man sich selbst intensiv einbringt, einzutauschen gegen oberflächliche körperliche Kontakte mit vielen. Um die beängstigende Schwäche und die Verantwortung nicht zu fühlen, die Muttersein bedeutet und gleichzeitig darauf zu verzichten das größte Glück zu erleben, daß man als Frau erfahren kann, wenn man sein Baby im Arm hält (möglicherweise).
    Dann hat sie sich schnurstracks in einen Mann verliebt, der ihr genau das ermöglichen wollte und ist ausgerastet, als er ihr keine Exklusivrechte einräumen wollte, weil er sich nicht in sie verliebt hat. Der ganze Aufbruch/Ausbruch eine hilflose Fassade...
    Auf den ersten Blick klang das alles so interessant und aufregend, wie ein Aufbruch zum Glück. Auf den zweiten Blick finde ich es bemitleidenswert selbstentfremdend und sehr traurig. Noch weiter kann man sich meiner Meinung nach als Mensch und Frau nicht von sich selbst entfernen.
    Wie verzweifelt und selbstverleugnend muß man sein, um sich da selbst zu glauben, daß man das ist, was man da tut...

    Ich denke, man fühlt, daß man angekommen ist, wenn man es ist. Wenn sich alles richtig anfühlt und man den gewählten Weg auch in Krisensituationen nicht mehr prinzipiell in Frage stellt. Wenn Hindernisse auf einmal Herausforderungen darstellen und nicht das Ende, wenn man auch Enttäuschungen und Rückschläge einstecken und akzeptieren kann, daß man selbst nicht perfekt sein kann und muß, nicht alles bekommt was man sich wünscht und das Leben trotzdem weitergeht, auch wenn es manchmal wehtut. Wenn man dabei aber trotzdem noch weiß, daß man auf dem richtigen Weg und bei sich selbst ist, nicht gegen die eigene Natur handelt und so achtsam mit sich selbst nd mit anderen umgeht. Das zeigt sich am ehesten in Krisensituationen.

    In das Leben als Mutter muß man sich erstmal reinfinden, wenn man sein bisheriges Leben ganz anderen Zielen hinterhergehetzt ist, oder dachte, man will ganz woanderst hin. Alles ist neu und ungewohnt und womöglich tut man sich auch schwer damit, gewohnte Pfade zu verlassen, das neue Leben anzunehmen und auch zu akzeptieren, daß man dabei nicht perfekt ist.
    Es ist ein anderes Leben als vorher, du bist nichtmehr dieselbe und wirst es auch nie mehr sein. Du bist jetzt 24h am Tag, 365 Tage im Jahr und bis an dein Lebensende Mutter. Man muß auch erstmal lernen, mit der damit verbundenen Verletzlichkeit und mit der Schwäche umzugehen - um dann auch die Stärke spüren zu können, die man aus diesem Leben gewinnen kann.
    Das finde ich immernoch am schwersten.

    Und das noch: Johanniskraut macht es ein bißchen einfacher... ;-)

    Ich wünsch Dir das Beste
    Grüße von mir
  • MimiMimi

    1,643

    bearbeitet 30. 11. -1, 01:00
    ach Katja,

    ich habe Deine Geschichte verfolgt und viel an Dich gedacht. Vieles hast Du genauer und besser ausgedrückt, als ich es konnte.

    Fühl Dich gedrückt - oder wie Maya sagt: knull!
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